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Demo gegen rechts Bonn

So werden Teilnehmerzahlen bei Demos ermittelt

Stand: 25.01.2024, 17:19 Uhr

Tausende, Zehntausende, Hunderttausende? Nicht immer ist genau klar, wieviele Menschen bei Demos dabei sind. Wir erklären, wie Teilnehmende gezählt werden und welche Kritik es daran gibt.

Bis zu 70.000 in Köln, zwischen 100.000 und 200.000 in München, mehr als 100.000 in Berlin, bis zu 30.000 in Dortmund: Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Je nachdem, wen man fragt, also Veranstalter oder die Polizei, waren am Wochenende bundesweit zwischen einer halben Million und 1,4 Millionen Menschen auf den Straßen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Wegen der großen Differenz werden in den Sozialen Netzwerken die Zahlen angezweifelt. Sie seien manipuliert oder zu hoch angesetzt. Andere beschweren sich, wenn die Zahlen ihrer Meinung nach zu niedrig sind.

Wie werden die Zahlen erhoben?

In den meisten Fällen machen das entweder die Polizei oder die Veranstalter. Sie haben allerdings keine einheitliche Methode für die Zählung. Oft seien es eher Schätzungen als genaue Zahlen, sagt Dr. Stephan Poppe, der sich an der Uni Leipzig mit der Teilnehmerzählung bei Veranstaltungen und Demonstrationen befasst.

"Demonstrationen in ihrer Gesamtheit zu erfassen ist eine sehr diffizile und komplexe Sache." Dr. Stephan Poppe, Uni Leipzig

Die möglicherweise genaueste Methode ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer händisch gezählt werden. Das geht, solange es überschaubar ist.

Bei größeren Demos, wie denen am vergangenen Wochenende, gibt es mehrere Methoden der Erfassung: Die eine ist, dass Flächen auf dem Demo-Gelände virtuell abgesteckt werden. Dort wird dann erstmal gezählt, wie viele Menschen auf wie vielen Quadratmetern stehen. Diese Zahl wird dann hochgerechnet auf die Gesamtfläche.

Eine weitere Möglichkeit ist es, bei nicht statischen Demonstrationszügen einzelne Reihen zu erfassen. Dabei wird gezählt, wie viele "Reihen" von Anfang bis Ende am Zähler vorbeilaufen. Die Zahl der Reihen wird dann mit der Zahl der durchschnittlichen Personen pro Reihe multipliziert. Diese Methoden bestätigte auf WDR-Anfrage auch das NRW-Innenministerium.

Denkbar ist laut Poppe auch die Zählung mittels eines Softwareprogramms, das Videomaterial überprüft. Dieses Videomaterial könnte von einer Drohne stammen, die über die Ansammlung von Menschen fliegt.

Die Kölner Polizei zählt Demo-Teilnehmende einer funk-Recherche zufolge mithilfe grober Schätzungen und zum Teil auch mit Drohnen- oder Hubschrauberaufnahmen.

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Warum weichen Zahlen voneinander ab?

Dr. Stephan Poppe

Dr. Stephan Poppe von der Uni Leipzig

Die kommunizierten Zahlen von der Polizei oder den Veranstaltern schwanken mithin stark. Das liege auch daran, dass die Methoden nicht genau und eben meist Schätzungen seien, sagt Stephan Poppe. Die typischen Schätz- und Messfehler lägen im Durchschnitt bei 20 bis 30 Prozent. Hinzu kommt, dass die Zeitpunkte, an denen die Zahlen erhoben werden, voneinander abweichen können.

Erfahrungsgemäß sind die Veranstalter optimistischer in ihren Schätzungen, weil sie ein Interesse haben, möglichst hohe Zahlen zu verbreiten. Die Polizei dagegen rechnet defensiver. Stephan Poppe ist oft skeptisch.

Zu oft bekäme er zu den Zahlen keine plausiblen Erklärungen. "Wenn Sie nachfragen, kriegen Sie kaum Antworten. Was ich auch als Indiz dafür sehe, dass eigentlich keine Methodik dahinter steht."

Er habe den Eindruck, dass es zu oft "Bauchschätz-Methoden" seien: "Der eine sagt, ich glaube es sind 20.000, der andere sagt 40.000. Dann machen wir 30.000."

Unklar sei mitunter auch, ob die Zahlen Momentaufnahmen seien oder die Gesamtzahl der Teilnehmenden. Poppe wünscht sich dahingehend mehr Transparenz. Gleichwohl könne er kein Muster erkennen, dass Behörden Zahlen größer oder kleiner rechnen.

Wie könnten die Zahlen genauer werden?

Ein Ansatz seien vor allem mehr Überblicksbilder mit Drohnen oder aus einem Helikopter, sagt Stephan Poppe. "Es wäre generell hilfreich, wenn die Polizei mehr Meta-Informationen bereitstellen würde, wie eben diese Überblicksbilder."

Zwei Bilder mit überfüllten Plätzen nebeneinander.

Bei der Demo in Hamburg wurden diese beiden Fotos veröffentlicht. Sie wurden aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert.

Dann käme es auch nicht zu solchen Diskussion wie das um ein Bild von einer Demo aus Hamburg. Dort hatte unter anderem AfD-Politiker Björn Höcke bei X zwei Bilder des Jungfernstiegs gegenüber gestellt: das eine publiziert vom Hamburger Senat, das andere vom ZDF.

Der Vorwurf: Die Alster sei wegretuschiert worden, stattdessen seien Menschen per Photoshop hinzugefügt worden. Am Ende stellte sich heraus: Die Bilder waren aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen worden. "Ein Überblicksbild der Polizei hätte gereicht, um das sofort zu entkräften", sagt Poppe. Diese gäbe es aber zu selten.

Quellen:
- Interview mit Dr. Stephan Poppe
- NRW-Innenministerium
- funk-Recherchen
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BR-Faktenfuchs
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Deutschlandfunk Kultur