Cover des Albums "Liebe auf Eis" von Il Civetto: Türkisfarbenes Cover mit den Schriftzügen "Il Civetto" und "Liebe auf Eis" in Rot und gelber Umrandung; in der Mitte eine rote Palme in gelbem Kreis

Sommervibes und ernste Issues

Il Civetto mit neuem Album "Liebe auf Eis"

Stand: 17.03.2024, 00:00 Uhr

Unbeschwerte Vibes, einfühlsame Balladen. Generation Y zwischen Party und Weltschmerz. Die Berliner Fusion-Pop-Band Il Civetto meldet sich zurück. Mit ihrem vierten Album "Liebe auf Eis".

Von Łukasz Tomaszewski

Il Civetto: "Liebe auf Eis"

COSMO Album der Woche 18.03.2024 02:41 Min. Verfügbar bis 17.03.2025 COSMO


"Der Zeitgeist gleitet ab in eine Dystopie"- Il Civetto im Gespräch

COSMO 19.03.2024 10:33 Min. Verfügbar bis 20.03.2025 COSMO


Läge Berlin am Meer, würde die für ihre Wintertristesse und graue Häuserschluchten berüchtigte Metropole mindestens den Vibe von Barcelona haben. So oder so ähnlich hört man es öfter auf den Straßen zwischen Halleschem Tor und Görlitzer Bahnhof tönen. Dem Biotop der Lebenskünstler, Tagträumer und Hedonisten aus aller Herren Länder. Als sich drei Schulfreunde vor 14 Jahren zum ersten Mal auf einen Bahnsteig der Kreuzberger Hochbahn stellen und in einer mediterran klingenden Fantasiesprache singen, geben sie diesem Lebensgefühl einen Sound. Der Name ist Programm: Il Civetto (italienisch für Nachteule) werden erst zu einer richtigen Band, als man sie auf Geburtstage und in Technoclubs der Berliner Bohème einlädt. Die Mieten sind noch billig, die Partys gehen drei Tage und die Schlinge der Gentrifizierung sitzt noch recht locker. In diesem Milieu erspielen sich Il Civetto ihre Fanbase.

Immer noch mediterran...aber auf Deutsch

Jetzt hat die Nachteule ihren Kopf etwas gedreht. Die Bühnen sind größer geworden. Die Band um Sänger Leon Keiditsch hat sich gewandelt: Von der Straßenkapelle zur Fusion-Pop-Band. Mit dem dritten Album "Späti del Sol" haben sie ein Händchen für urbane Hymnen auf Deutsch bewiesen, wie bei "Rio-Reiser-Platz": melancholisch, lebensfroh und auch immer etwas verpeilt. Das vierte Album "Liebe auf Eis" thematisiert den Zeitgeist der Generation Y.

Zeitgeist ratlos

Der Klimawandel wird politisch ignoriert, wir erleben eine Zeit, wo die AfD im Aufwind ist, es gibt immer noch keinen Waffenstillstand in Gaza. Und all das erleben wir und müssen damit klarkommen, erklärt Sänger Leon Keiditsch. Das neue Album sei für ihn ein kleiner Fleck Utopie in einer Welt, die in Dystopie und Ratlosigkeit versinkt. Im Song "Zukunft im Wind" singt er von genau dieser Ratlosigkeit angesichts der globalen Schlechtwetterlage. Unterstrichen von gezupften Oud-Sounds und aufgelösten Piano-Akkorden. Das klingt authentisch und ehrlich. Nach echten Sorgen. Genauso wie auf "Regen in Rom und Paris". Ein Song über den Roadtrip eines Liebespaares, das von Schwermut erdrückt wird (der Himmel ist schwer und die Zukunft ist dunkel, das Ende der Welt ist nicht weit). Romantik mit Issues wie Sperrgepäck im Bauch. 

Schonungslos ehrlich

Abseits der weltpolitischen Ratlosigkeit werden Il Civetto auch persönlich, wenn sie auf "Boys Do Cry" zusammen mit Gastsänger Krille die Geschlechternormen und überkommene Männlichkeitssymbole hinterfragen. Am intimsten wird es in der Ballade "Fragen". Ein Abschiedssong, den Leon Keiditsch an seinen viel zu früh verstorbenen Vater geschrieben hat. Wenn er mit gebrochener Stimme "Du fehlst" singt, bekommt man sofort einen Kloß im Hals. Das sind Qualitäten eines gewachsenen Songwriters: Bravo!

Hansa Studios

Die Weltmusik-Experimente früher Jahre haben Il Civetto in die Schublade gelegt. Die dreizehn neuen Songs sind in den legendären Hansa-Studios entstanden, in denen noch der Geist von David Bowie schwebt. Il Civetto haben sich die großen Räume angeeignet, sich breitgemacht, mit Sounds experimentiert, erzählt Leon Keiditsch. Kleiner Wermutstropfen: Leider ist davon nicht allzu viel auf dem Album gelandet. Die Songs sind in popgerechte Häppchen portioniert und lassen kaum Luft für instrumentale Experimente und Atempausen. Das ist schade, aber wohl dem Formatzwang des Streaming-Zeitalters geschuldet. So sausen eigentlich gut gemeinte Songs wie "Alles was ich hab" vorbei wie ein Uber am Kunden ohne Smartphone: Ciao Amigo! Muss weiter. Dabei gehts im Text doch um laue Berliner Sommernächte. Und die sind doch bekanntlich unendlich lang. Oder?

Erwachsen geworden

Trotzdem: Il Civetto haben es von der Fußgängerzone auf die großen Bühnen geschafft. Vom schelmischen Traveler-Kauderwelsch zu lupenreinem Global Pop. Ihrem Wesen bleiben sie treu: sympathische Berliner Schnauze, die ihr Herz auf der Zunge trägt.