Interview mit Nathan Salsburg: "Alan Lomax war kein Purist"
Nathan Salsburg ist seit 15 Jahren Kurator des Alan Lomax Archivs in New York. Lomax selbst gründete es, um Traditionen zu erhalten und weiterzugeben. Inzwischen sind die Materialien auch online verfügbar und werden an ihre Ursprungsorte zurückgeführt.
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Alan Lomax bei einer Abmischung - 1970er Jahre
Ein Gespräch mit Nathan Salsburg, Kurator des Alan Lomax Archivs.
Was ist die Hauptaufgabe des Archivs heute?
Wir haben eigentlich schon seit 2004 alle Aufnahmen in unserem Bestand archiviert. Das sind 400 Stunden Videomaterial, 5000 Fotos und Negative und ca. 18.00 einzelne Sounddaten. In den letzten zehn Jahren haben wir uns stark darauf konzentriert, dieses Material für andere zugänglich zu machen. Und dafür nutzen wir außer unserer Webseite auch alle möglichen anderen Kanäle wie YouTube und Soundcloud. Aber wir veröffentlichen auch CDs und LPs. Unser Hauptanliegen im Moment ist allerdings die Rückführung der Aufnahmen an ihre jeweiligen Ursprungsorte.
Was genau bedeutet das?
Wir arbeiten eng zusammen mit Einrichtungen und Archiven an all den Orten, die Lomax damals bereist hat. Kopien dieser Aufnahmen stellen wir dann den Gemeinden zur Verfügung. Es ist gut zu wissen, dass diese Aufnahmen wieder zurück an ihren Ursprungsort gelangen. So haben Einheimische auch die Möglichkeit, die traditionellen Songs und Geschichten aus ihrer Gemeinde zu hören, die heute nicht mehr im Umlauf sind.
Alan Lomax hatte vor Jahrzehnten die Befürchtung, Kulturen könnten in ihrer jeweiligen Einzigartigkeit verloren gehen. War die Rückführung der Aufnahmen so schon von ihm geplant?
Ja, es ist verrückt, er hat 1961 schon von etwas wie "Videomusik" gesprochen, die Kulturen verändern würde. Über diese Entwicklung hat er sich wirklich Gedanken gemacht damals. Und er wollte die Aufnahmen selbst zurückgeben. Natürlich herrscht heute oft eine kommerzielle Monokultur vor. Aber gleichzeitig gibt es weltweit immer noch Menschen, die ihre Traditionen mit Stolz pflegen und sich davon inspirieren lassen. In gewisser Weise haben seine Aufnahmen geholfen, dass etwas Neues aus traditioneller Kultur entstanden ist. Ich denke, Lomax würde sich sehr über diese kulturelle Re-Identifikation freuen.
Alan Lomax hat hauptsächlich gewöhnliche Menschen aufgenommen und selten professionelle Musiker. Was macht da einen guten Song aus?
Die besten Songs im Archiv sind nicht die, die perfekt gespielt werden. Wichtig ist immer die Performance und bei allen Field Recordings kann man wirklich spüren, was gesungen wird. Die Aufnahmen sind authentischer, ohne Studiotricks. Die Leute haben sich auch wohler gefühlt, weil die Aufnahmen zuhause in ihrer gewohnten Umgebung und nicht im Studio stattgefunden haben.
Kann man sagen, dass Authentizität und die Unberührtheit von Kulturen für Lomax am wichtigsten waren bei seinen Field Recordings?
Er hat diesen Ruf, aber ich finde das etwas unfair. Denn alles ist eine Mischung von Kulturen, wie zum Beispiel die afroamerikanische Musik in den USA. Die wurde von Sklaven aus Afrika mitgebracht, mit einem Abstecher in den ostkaribischen Staaten und dann ging es weiter in die Südstaaten. Heute wird sie weltweit durch HipHop verbreitet, vor 50 Jahren war es durch Blues. Das ist ein stetiger Prozess. Lomax fand übrigens, dass Prince und Michael Jackson am besten all diese amerikanischen musikalischen Einflüsse vereint haben. Er war also in dem Sinne nie ein Purist.
Stand: 30.01.2015, 17.00 Uhr
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