Interview: Hannes Loh und Sascha Verlan: 35 Jahre HipHop
Hannes Loh und Sascha Verlan fassen in ihrem Buch "35 Jahre HipHop in Deutschland" alles Wissenswerte über die größte Jugendkultur des Landes zusammen - von den migrantisch geprägten Anfängen bis zum Gangsta Rap der Gegenwart. Wir haben mit ihnen über den Zustand von Rapmusik in Deutschland gesprochen.
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Hannes Loh und Sascha Verlan
Funkhaus Europa: Wir reden über deutschen HipHop, genau genommen über den sogenannten Gangsta Rap. Und da schwirrt ja grade der Track "Ich hab Polizei" von Jan Böhmermann durchs Netz. Darf das biodeutsche Mittelschichtskind Böhmermann das?
Hannes Loh: Ich finde es sehr interessant, wie die einzelnen Leute auf diesen Song reagieren. Das ist total spannend, weil es sehr schillernd ist. Es ist ein vielschichtiger Chor und es zeigt, wie dieses Phänomen "Deutscher Gangsta Rap" von so vielen Seite begutachtet werden muss, um es überhaupt zu verstehen. Man kann zu dem Böhmermann-Song stehen, wie man will. Aber er hat eine Debatte losgetreten, in der relativ differenziert diskutiert wird. Es ist nicht mehr so einfach, sich völlig banal auf Gangsta Rap zu beziehen, sich nur darüber lustig zu machen oder nur zu sagen, man darf das nicht parodieren. Man kann sich jetzt sehr vielfältig darauf beziehen und sich überhaupt erstmal fragen, was dieses Phänomen genau ist, wo es historisch her kommt und warum es so viele Leute auf so unterschiedliche Weise beschäftigt.
Funkhaus Europa: Im HipHop geht es ja immer auch um Realness, also was ist echt und was ist Show? Wie real muss Gangsta Rap denn eigentlich sein?
Sascha Verlan: Die Frage ist ja, was Realness sein soll. Wenn wir in Deutschland über HipHop und Rap reden, dann heißt Realness immer von Amerika her kommend irgend etwas mit prekären Lebensverhältnissen und Migrationshintergrund. Vieles, was hier im deutschen Gangsta Rap passiert, ist weniger eine Realness im Sinne davon, dass sie das darstellen, was sie sind. Sondern Realness im Sinne davon, dass sie reproduzieren, was die Mehrheitsgesellschaft von ihnen erwartet. Sie bekommen Aufmerksamkeit, wenn sie sich so geben, wie wir Biodeutschen denken, dass sie sind.
Funkhaus Europa: Kollegah zum Beispiel mimt den prolligen Migranten, ist aber Deutsch-Kanadier mit Abi. Warum funktioniert das trotzdem?
Hannes Loh: Ich glaube, kein anderer Künstler darf so wenig Künstler sein, wie ein Gangsta Rapper. Da wird dieser Wunsch nach Authentizität so stark an die Leute herangetragen, dass nicht einfach gesagt werden kann: "Kollegah ist eine Kunstfigur". Er ist eine vielleicht sogar ganz gut gemachte Kunstfigur. Man kann streiten über das, was er sagt. Aber es geht da nicht um sein Leben, sondern um kleine Geschichten, die er sich ausgedacht hat. Oder Haftbefehl. Muss ich Haftbefehl als authentische Person verstehen, die aus Offenbach kommt und aus ihrem Leben erzählt, also als 1 zu 1 biografisch? Nein. Er hat ja eine ganz interessante Melange aus arabischer Sprache und Offenbacher Slang entwickelt, in seine Haltung, seine Videos fließt unendlich viel mit rein. Das könnte man genauso gut als Kunst rezipieren, aber das wird selten getan.
Audio
- Audio: Interview mit Hannes Loh und Sascha Verlan (11:24 min.) FHE Studiogäste
Funkhaus Europa: Ihr beschäftigt euch schon seit den 80er-Jahren mit dem Phänomen HipHop. Hannes, du hast ja auch selbst in der Anarchist Academy gerappt.
Hannes Loh: Genau, ich habe 1986 angefangen, mich für HipHop zu begeistern, dann auch angefangen zu rappen und Anfang der 90er-Jahre mit Bomba zusammen die Gruppe Anarchist Academy gegründet. Damals ist viel HipHop in der Provinz passiert, HipHop-Zentren lagen zum Beispiel auch in Lüdenscheid, nicht nur in Hamburg, Berlin oder München.
Funkhaus Europa: Wie unterscheidet sich denn tatsächlich der HipHop von damals vom heutigen?
Sascha Verlan: Das hat - nicht nur in Deutschland - damals unterhalb des Radars der medialen Aufmerksamkeit stattgefunden. HipHop in Deutschland hat sich zehn Jahre entwickeln können, ohne dass sich irgendjemand dafür interessiert hat. Die Jugendlichen waren einfach unter sich, haben ihre Partys, ihre Jams gefeiert, haben sich europaweit vernetzt und da hat niemand von Notiz genommen. Das war eine Freiheit, die inzwischen verloren gegangen ist. Heute ist HipHop nicht mehr HipHop an sich und kann sich selber erfinden, sondern auf diesen HipHop trifft immer das mediale Bild von außen, die werden immer sofort gespiegelt: "Was soll das? Wieso ist das jetzt so? Und HipHop ist doch eigentlich ganz anders." Diese Diskussionen gab es früher untereinander, da haben Menschen als HipHopper über HipHop gestritten, und nicht als Journalisten.
Funkhaus Europa: Fühlt ihr euch denn dem heutigen HipHop verbunden?
Hannes Loh: Auf jeden Fall. Zum einen finde ich die aktuelle Entwicklung im Rap sehr interessant und vielschichtig, zum anderen gibt es natürlich immer noch die Old-School-Netzwerke. Wenn man zum Beispiel in Köln in den Dedicated-Laden geht, dann trifft man da oft Koryphäen der HipHop-Old-School. Die sind miteinander vernetzt, die haben ja nicht aufgehört, HipHop zu machen oder HipHop zu leben. Da fühlt man sich selbst mit meinen 44 Jahren noch verbunden.
Sascha Verlan: Das Tolle an HipHop ist: Es sind so viele Jugendliche, die mit 13 oder 14 Jahren den Stift oder eine Sprühdose in die Hand nehmen, anfangen zu breaken. Diese Kultur entwickelt sich und erfindet sich immer wieder neu, weil immer wieder die ganz jungen dazustoßen. HipHop ist keine reine Konsumentenkultur, sondern hat sich diesen Impetus bewahrt. "Mach selber! Lass dir nichts vorschreiben, vorrappen, vorsingen, sondern setz dich hin und mach selber!". Wenn ich Workshops gebe, ist immer sofort das Feuer da. Und es ist auch eine literarische Entwicklung, wenn wir bei Rap bleiben. Das hätten sich die Lyriker Anfang des 20. Jahrhunderts gewünscht - dass es eine Massenbewegung wird, einen Stift in die Hand zu nehmen und Verse zu schreiben.
Funkhaus Europa: Wie schätzt ihr vor dem Hintergrund des Netzwerk-Gedankens das Verhältnis ein zwischen Rappern aus verschiedenen Schichten, mit unterschiedlichen Herkünften und politischen Einstellungen?
Hannes Loh: Zum einen sollte man immer bereit sein, sich von den jungen überraschen zu lassen und nicht zu sagen "Früher war alles besser!", auf der anderen Seite gibt es bestimmte Phänomene der Old School in den 80er- und 90er-Jahren, wo HipHop eine Bewegung war, ein Raum in dem Hautfarbe, Herkunft, Status keine Rolle mehr spielten und wo sich der deutsche Gymnasiast und das Migrantenkind aus dem Jugendzentrum begegnet sind. Das findet heute vielleicht auch noch statt, aber nicht mehr in der Dimension, wie das früher war. Heute hat vor allem Rap sehr viel mit Abgrenzung und Ausgrenzung zu tun. Wir haben viele Tendenzen, die auch in Richtung Antiislamismus und Antisemitismus gehen, wir haben auch nationalchauvinistische Tendenzen im deutschen Rap. Das muss man ganz klar sagen und darüber muss man sprechen.
Funkhaus Europa: Vielen Dank für das Interview.
Stand: 03.12.2015, 12.27 Uhr
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