Simone Cristicchi: scharfsinniger Pop-Obstsalat
Ironie der Schicksals, dass dieser ironische junge Mann ausgerechnet mit Songs Erfolg hat, die die Mechanismen des Musikmarkts verspotten, angreifen, aufzeigen.
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Simone Cristicchi
Simone Cristicchi beschreibt sich selbst als Außerirdischer, der 1977 auf dem Planeten Erde gelandet ist, und genauso wirkt der 28-jährige Römer in dem stromlinienförmigen italienischen Musikbiz auch. Mit Anzug, Krawatte und einem kleinen Aktenkoffer steht er auf dem dem Cover seiner Debut- CD inmitten eines Kornfeldes und hält sich die Stirn: Wo bin ich hier nur gelandet? Doch unter dem riesigen Lockenkopf und der altmodischen Brille blinzelt ein außergewöhnliches Talent hervor, ein Dichter, Songwriter, Sänger und Entertainer, der Italien im Handumdrehen mit seinen Canzoni erobert hat. Weil sie Ohrwürmer sind, denen man nicht ausweichen kann und Texte mit doppeltem und dreifachem Boden haben.
Der etwas andere Sommerhit
Cristicchi ist jedoch kein Senkrechtstarter, er selbst hängt eher der Philosophie der Langsamkeit an. Tatsächlich hat es Jahre gedauert, bis "Fabbricante di canzoni" erscheinen konnte. Die 13 Songs seines Debutalbums sind wie eine Sammlung von Momenten aus der Vergangenheit, die Zeit in der Universität (Studentessa universitaria), Träume von unsterblicher Liebe (Angelo custode), die erste Reise als Teenager nach Griechenland (l'isola) oder die Ablehnung, die dem jungen Künstler entgegenschlug, als er versuchte seine Songs ins Radio zu bringen (Ombrelloni). Nachgestellt auf der CD ist aus dieser Erfahrung ein Telefonat mit dem Musikchef eines Senders, der ein Lied ablehnt, weil die Worte Sonne, Eis, Meer und Sonnenschirm nicht darin vorkommen und deshalb damit kein Sommerhit zu machen sei. Das Schlitzohr Cristicchi nimmt den Mann beim Wort und liefert einen Song, der die Begriffe zwar enthält, aber in so drastischer Form, dass kein Radio dafür Sendezeit zur Verfügung stellen würde ("Den Sonnenschirm schiebe ich dir in den Hintern/das Eis zerdrücke ich dir im Gesicht/diesen Sand, den werfe ich dir die Augen/ mit dieser Sonnenliege breche ich dir das Kreuz").
Der Zufalls-Hit
Mit 16 hat Cristicchi eine alte Gitarre auf dem Dachboden gefunden, und seitdem hat ihn das Songschreiben nicht mehr losgelassen. Das hat sich inzwischen auch in zig Preisen niedergeschlagen - und in einer Popularität, die dem an sich scheuen Typen manchmal Angst macht. Sein Song "Vorrei cantare come Biagio" ist dabei zum Synonym für diese seltsame Karriere geworden und zum "Zufalls-Hit".
Pop-Obstsalat
Der Text, in dem er vom mailändischen Pop-Superstar Biagio Antonacci singt, ist aus der Warte eines völlig erfolglosen, im Karriere-Stillstand befindlichen Sängers geschrieben. Antonacci hat es dem Kollegen nicht übelgenommen und ihn auf die Bühne des Palaottomatica in Rom geholt, damit er das witzige Nu-Swing-Chanson vor 10.000 Leuten singt.
Tatsächlich verehrt Cristicchi Charlie Chaplin, weil der Lachen und Schauder zugleich auslösen konnte und die Pioniere im Genre der Cantautori, Meister-Ironiker wie Giorgio Gaber oder Enzo Jannaci. Und mit einem dieser Vorgänger, mit Sergio Endrigo, hat er sogar noch rechtzeitig vor dessen Tod ein Duett aufgenommen. Musikalisch dominiert ansonsten die Lust am Sixties-Pop, den er von seiner Mutter geerbt hat, und mit Italo-Pop, Samba, Canzone-typischem und Folk mischt, er selbst nennt das Ergebnis: Pop-Obstsalat. Der schmeckt extrem lecker und macht auch dann höllisch Spaß, wenn man kein Wort versteht: Guten Appetit! Buon apetito!
Diskografie |
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Dall'altra parte del cancello (2007) |
Fabbricante di canzoni (2005) |
Stand: 23.05.2013, 11.58 Uhr
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