Der Soundtrack von... - Mulatu Astatke: Swinging Addis
Er ist einer der bedeutendsten Musiker aus Äthiopien. Im "Soundtrack von… - Mulatu Astatke" spricht der Multiinstrumentalist von seinen Begegnungen mit Hugh Masekela und Fela Kuti, über die Entstehung des Ethio-Jazz und über seine Zusammenarbeit mit dem Filmregisseur Jim Jarmusch.
Sendung zum Thema
5Planeten | Heute, 14.00 - 16.00 Uhr
In den 60er Jahren studierte Mulatu Astatke als erster afrikanischer Student an dem renommierten Berklee Konservatorium in Boston. In New York traf er dann den Südafrikaner Hugh Masekela und Fela Kuti aus Nigeria, kam zurück nach Addis Abeba wo er wesentliche Impulse bei der Entstehung des Ethio-Jazz setzte.
In der Underground-Szene wie eine Ikone gefeiert kam der internationale Durchbruch für den 73-Jährigen erst 2005. Mastermind Jim Jarmusch benutzte für den Soundtrack seines Films "Broken Flowers" sieben seiner Ethio-Jazz Kompositionen und katapultierte Mulatu in die oberste Riege. Dies führte später zu der Entstehung des Albums "Sketches of Ethiopia". Mulatu Astatke ist u.a. Musikwissenschaftler, Komponist, Radiomoderator und ein musikalischer Freigeist, der schon immer an die Individualität in der Musik appellierte.
Wer bist du?
Ich bin Mulatu Astatke und komme aus Äthiopien. Ich bin Komponist, Arrangeur, Musikwissenschaftler und aufführender Künstler. Ich liebe Musik. Ich habe Musik studiert und bin wegen der Musik viel gereist. Meine afrikanische Herkunft hat mich auch beeinflusst. Denn Afrika ist sehr wichtig für die Entwicklung von moderner Musik. Musik ist mein Leben.
Was bedeutet Musik für dich?
Musik ist eine Wissenschaft. Wir mischen Klänge, so wie Wissenschaftler Chemikalien mischen. Wir arbeiten mit Harmonien, Kontrapunkten, Rhythmen. Und mit verschiedenen Instrumenten. Wir kombinieren sie und so entstehen wunderschöne Kompositionen. Das Ergebnis hängt vom Komponisten ab. Denn es gibt so viele Musikstile. Jazz, Symphonien, Marschmusik. So viele Richtungen. Ich behandele Musik wie eine Wissenschaft. Deswegen bereitet sie mir so viel Freude.
Was war deine erste Erinnerung an Musik?
Früher hätte ich nie daran gedacht Musiker zu werden. Aber als ich klein war reiste ich durch Äthiopien und sah verschiedene lokale Bands. Auch unser Symphonieorchester. Oder Big Bands mit fünf Trompeten, fünf Saxofonen, vier Posaunen. Sie haben viel unterschiedliche Musik gespielt. Äthiopische Musik, aber im Stil einer Symphonie, oder mit einer Big Band. Das waren meine ersten Erfahrungen mit Musik.
Wie hat alles angefangen?
Früher habe ich viele Platten gehört und bin zu vielen Konzerten gegangen. Doch das tue ich nicht mehr. Ich musste damit aufhören. Denn in Berklee hatte ich einen Professor und der hat immer gesagt: 'Sei du selbst!' Wir analysierten damals die Musik von Miles Davis, John Coltrane, Duke Ellington, Count Basie oder Gil Evans. Doch dabei sagte er immer wieder: 'Sei du selbst!' Danach habe ich überlegt: 'Wie kann ich zu mir selbst finden?'
Du hattest auch mal eine eigene Radiosendung?
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Claude Debussy
Nach meiner Schulzeit reiste ich durch Amerika und England. Als ich zurück nach Äthiopien kam habe ich hier eine Musikschule aufgebaut, und einen Club. Das African Jazz Village. Dann hatte ich noch eine Radiosendung, bei der ich den Menschen viel über Musik beibringen konnte. Es gab verschiedene Themen: Zum Beispiel was ist der Unterschied zwischen Jazz und Jazz Fusion? Oder was ist die Verbindung von Lateinamerikanischer und afrikanischer Musik? Ich spielte Musik aus aller Welt. Abends legte ich oft Klassik auf: Beethoven, Tschaikowsky, Debussy. Die ganz Großen. Oder Opern mit Pavarotti. Ich habe sieben Jahre beim Radio gearbeitet, es war sehr interessant. Denn in der Musikschule erreichte ich nur ein paar Leute. Aber mit der Radiosendung konnte ich zwei bis drei Millionen erreichen. Ich konnte Musikunterricht geben und damit sehr viele Menschen erreichen.
Welches Konzert wirst du nie vergessen?
Ich war mal an einem Theaterstück beteiligt: "Petros at the Hour". Da ging es um den Priester Abune Petros, der für seine Überzeugungen hingerichtet wurde. Der große äthiopische Dichter Tsegaye Gabre-Medhin hat das Stück geschrieben und mich gebeten dazu Musik zu komponieren. Wir haben in Äthiopien eine Harfe namens Beganna. Sie hat zehn Saiten und kommt für gewöhnlich immer in der Kirche zum Einsatz. Also dachte ich, es würde passen dieses Instrument einzusetzen, denn es geht ja um einen Priester. Bei der Aufführung spielte ich die Begenna, doch viele Leute haben sich beschwert. Denn dieses Instrument ist eigentlich für religiöse Musik gedacht und ich spielte damit Jazz. Das Publikum wollte, dass ich die Bühne verlasse. Aber ich habe einfach weitergespielt. Wenn ich jetzt Vorträge an der Uni halte, sage ich deswegen immer zu den Studenten: 'Wenn ihr ein Ziel habt, lasst euch nicht entmutigen!'
Wie wurde afrikanische Musik in den 60er Jahren weltbekannt?
1966 war Hugh Masekela in New York. Fela Kuti und ich auch, dort haben angefangen afrikanische Musik der Welt vorzustellen. Ich hatte meinen eigenen Stil, den Ethio-Jazz. Fela spielte Highlife. Und Hugh Masekela spielte diese vom Blues beeinflussten Sound aus Südafrika. Diese Zeit war großartig.
Wie entstand der typische Ethio-Jazz-Sound?
In den Schulferien bin ich mit meiner Familie oft nach Äthiopien zurückgekehrt. Zum Beispiel an Weihnachten. Da hörte ich dann die Big Bands und Militärkapellen aus Äthiopien. Oder das Orchester im Nationaltheater. Sie hatten vier Posaunen, fünf Trompeten, fünf Saxofone. Das hat mich inspiriert. Als ich wieder zur High School ging und später nach Boston zog hatte ich immer diese Musik im Kopf. Später zog ich nach New York und entwickelte da den Ethio-Jazz. Ich benutzte den Kontrapunkt, wunderschöne Akkordfolgen, und Improvisationen. Ich erforschte die äthiopischen Tonarten bei meinen Improvisationen.
Wie war die Zusammenarbeit mit Jim Jarmusch?
Jim Jarmusch hat mir erzählt, dass er jahrelang nach Musik für "Broken Flowers" gesucht hat. Dann hat er mir erzählt, dass er sich in meine Musik verliebt hat und dass er sie einsetzen will. Ich fand das toll und habe mich bei ihm bedankt. Nach einem Monat hat er angerufen und mir gesagt welche Songs er benutzen wird. Er meinte er hat eine Figur erschaffen, zu der diese Musik passt. Ich fand das großartig. Er hat einen guten Job gemacht. Ich bewundere seine Arbeit, er ist sehr kreativ und jeder seiner Filme ist anders. Ich bin ihm sehr zu Dank verpflichtet. "Broken Flowers" gewann eine Goldene Palme bei den Filmfestspielen in Cannes. Die New York Times, die LA Times, der Boston Globe, alle haben begeisterte Kritiken veröffentlicht. Und jetzt blüht der Ethio-Jazz auf. Ich toure durch Europa, und spiele überall vor einem begeisterten Publikum.
Wie stehst du zum Thema Sampling?
Es gibt viele junge Leute, die meine Musik samplen. Großartige Musiker aus der ganzen Welt. Ich höre mir das gerne an. Es ist toll. Deswegen kommen auch viele verschiedene Leute zu meinen Konzerten. Im Publikum sitzen alte und junge Leute. Und das verdanke ich der Tatsache, dass viele meine Musik samplen.
Wie siehst du die Zukunft der Musik?
Die einzige Musik, die ich zur Zeit höre kommt aus dem 'Busch'. Von den ursprünglichen Völkern. Für mich sind das Wissenschaftler, die alle möglichen fantastischen Instrumente erfunden haben. Instrumente aus Bambusstäben, Saiteninstrumente, all das haben sie vor Jahrhunderten erfunden. Die Inspiration für viele moderne Instrumente. Es gibt faszinierende Stämme die Musik machen. Im Süden von Äthiopien Leben die Dorze. Sie singen achtstimmig, jede Stimme hat eine besondere Bezeichnung. Sie arbeiten mit dem Kontrapunkt, mit Kontrastimmen. Manchmal singen sie auch zusammen, in Harmonie. Ich denke wenn wir diese Musikstile gründlich untersuchen, dann werden wir damit neue Musik erfinden.
Stand: 19.02.2016, 11.42 Uhr
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