Krimitipps - Dezember 2015: Tempo: Verschärfung und Reduktion
Neue Kriminalromane aus Österreich und der Schweiz - von Bernhard Aichner, Christian Mähr, Alfred Komarek, Sabina Altermatt und Hansjörg Schneider.
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Bernhard Aichner: Totenhaus
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- Audio: Krimitipps - Dezember 2015 (03:41 min.) Süpermercado
Krimis aus Österreich setzen normalerweise nicht eben auf's Tempo, sie leben eher vom hintersinnigen Witz, der bei der Reduktion von Geschwindigkeit entstehen kann. Ausnahme: Die Thriller um die vom Schicksal gebeutelte Bestatterin Brünhilde Blum, mit denen der Innsbrucker Autor Bernhard Aichner Erfolge feiert; in diesem Herbst kam mit "Totenhaus" (btb Verlag, 19,99 Euro) der zweite Teil auf den Markt. Diesen Geschichten geht es nicht um ein Thema, sie durchleuchten kein Milieu - Bernhard Aichner bietet reine Action im Sinne von Handlung und Bewegung, er hat einen untrüglichen Sinn für pittoreske Handlungsorte, dieser Autor feiert das Genre, und das grandios geplottet. Kein Wunder, dass das auch international, etwa in England, bestens funktioniert.
Tempo raus, zwei Gänge runter. Trotzdem ist man als Leser auch bei "Knochen kochen" (Deuticke, 19,90 Euro) von Christian Mähr ganz vorne dabei. Christian Mähr, der in Dornbirn/Voralberg lebt, lässt in seinen Geschichten einen Wirt, der Visionen zukünftiger Verbrechen hat, ermitteln, zusammen mit einem Team illustrer Stammtischgäste. Diesmal geht's um einen schrulligen Landadeligen, der einen vor hunderten Jahren verstorbenen Ahnen exhumieren will, um dessen DNA zu isolieren - der Ahne verstarb an einer seltenen Krankheit, dem englischen Schwitzfieber, der Landadelige erhofft sich wissenschaftlichen Ruhm. Das Problem: Auch diverse Neider und Geschäftemacher - und letztlich auch finstere Islamisten sind interessiert. Und plötzlich fängt der eine oder andere an zu schwitzen. Liest sich absurd? Ist es auch, und zwar reichlich. Das aber grandios erzählt; dieser Krimi ist ebenfalls ein Fest, eines der literarischen Finesse.
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Alfred Komarek: Alt, aber Polt
Den klaren Blick, der aus absoluter Reduktion von Tempo herrührt, erlebt man bei den Geschichten um den Dorfpolizisten Polt, mit denen Alfred Komarek, geboren 1945, ums Jahr 2000 herum sehr populär war. Diese Dorfkrimis sind in der tiefsten Provinz angesiedelt, im niederösterreichischen Weinviertel, wo die Uhren, wie man so sagt, noch anders laufen. Jetzt ist "Alt, aber Polt" (Haymon, 19,90 Euro) erschienen, eine Art Nachzüglerroman. Polt ist pensioniert, er führt mittlerweile einen Gemischtwarenladen, sonst ist alles beim Alten geblieben: Ein Mädchen ist am Dorfbach aufgefunden worden, ertrunken; Polt beobachtet die Ermittlungen und klärt den Fall auf seine Weise. Die Zeit bis zu dieser Klärung nutzt Autor Komarek, um durch die Augen (und mit den Gedanken) seines alternden Ex-Gendarmen die Dorfgemeinschaft und dahinter die österreichische Gesellschaft zu sezieren, und zwar mit einem immer leicht befremdeten Blick.
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Sabina Altermatt: Jagdgeflüster
Reduziert geht es auch in den Romanen der Schweizer Autorin Sabina Altermatt zu, wobei Reduktion in diesem Fall nicht nur das Tempo, sondern vor allem den Umfang meint: Sabina Altermatt, geboren 1966, setzt auf sprachliche Verknappung, sie braucht nur die nötigsten Worte und Sätze, eine Geschichte zu schraffieren; was angenehm ist, zumal sie es kann, eine vergessene Tugend der Genreliteratur. In ihrem aktuellen Roman "Jagdgeflüster" (Piper, 9,99 Euro) erzählt sie von einer allein erziehenden Försterin in den Graubündner Alpen. Der korrupte Gemeindepräsident eines kleinen Ortes wurde erschossen, eine von Reas Jagdhelfern wird verdächtigt, sie selbst steckt schnell zwischen allen Fronten. Immer wieder faszinierend, wie Sabina Altermatt mit wenigen Strichen ganze Landschaften entstehen lässt, auch solche der Seelen - indem sie auf's Allernötigste vertraut und ansonsten auf die Fantasie ihrer LeserInnen setzt.
"Hunkelers Geheimnis" (Diogenes, 22 Euro) ist der neunte Fall, den sich der Baseler Dramatiker und Autor Hansjörg Schneider, geboren 1938, für seinen Helden, den Kripokommissar Peter Hunkeler ausgedacht hat. In der Schweiz sind diese Romane Bestseller, hierzulande dagegen sind sie kaum bekannt. Was bedauerlich ist, denn auch Hansjörg Schneider beherrscht die Kunst der Verdichtung aus dem Effeff. Einige Baseler Banker und Honoratioren werden ermordet, allen gemeinsam ist eine linke Vergangenheit in den 1968er Jahren. Hunkeler, der mittlerweile pensioniert ist, ermittelt eher nebenbei; viel mehr ist er mit dem eigenen Älterwerden beschäftigt - und mit einer "unbekannten" halbmarokkanischen Enkelin, die plötzlich sein geruhsames Leben aufmischt. "Hunkelers Geheimnis" ist ein kleiner Roman, so scheint's zunächst, der sich auch noch den Luxus heraus nimmt, die Krimiebene bloß anzudeuten - diese Erzählung birgt allerdings so viel Substanz, dass sie, ehe man sich's versieht, plötzlich zur Jahrhundertgeschichte wird, ein Portrait der Schweiz in ihrer nicht immer eben ruhmreichen Geschichte aus Sicht des Baseler Dreiländerecks. Tempo spielt hier keine Rolle, es geht um Essenz - und wie Hansjörg Schneider an dieser, seiner Essenz arbeitet, das hat Klasse.
Stand: 01.12.2015, 21.00 Uhr
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