Süperunterwegs - Venezuela Sauerkraut in den Tropen

Von Lukasz Tomaszewski

Venezuela ist ein verkanntes Reiseziel, denn das südamerikanische Land hat mehr zu bieten als Sozialismus, Öl und Straßenkriminalität. Man muss nur die Hauptstadt Caracas verlassen und erlebt echte Highlights: Eins davon ist die deutsche Enklave Colonia Tovar.


Venezolaner in der deutschen Enklave Colonia Tovar in Venezuela
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Venezolaner zu Besuch in Colonia Tovar, ein deutsches Dorf in Venezuela.


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Am Wochenende verlassen die Caraceños nach Möglichkeiten ihre Stadt. Denn Caracas ist mit seinen knapp 6 Millionen Einwohnern, den ständig verstopften Straßen und dem dazugehörigen Smog ein wahres Moloch. Allerdings umgeben vom Paradies: Wer am Wochenende frei hat, fährt in die Berge des Bundesstaates Aragua. Hier liegt die Colonia Tovar, eine südbadische Kolonie.

Rund 70 Kilometer westlich von Caracas erreicht man nach zwei Stunden Autofahrt "Little Germany" samt Fachwerk, Dirndl, Schweinshaxe und eigener Bierbrauerei. 1843 sind an die 350 Bewohner des Kaiserstuhls ins fruchtbare Aragua-Tal Venezuelas ausgewandert. Während sie im Großherzogtum Baden unter Missernten, Arbeitslosigkeit und Armut litten, versprachen sich die Bauern, Maurer und Tischer in der neuen Heimat wirtschaftlichen Erfolg und ein ruhiges Leben.

Die Deutschen lebten über hundert Jahre nach eigenen Gesetzen. Mit einer eigenen Kirche, eigener Schule, eigener Kleidung und dem alemannischen Dialekt. Abgeschottet vom Rest des Landes. Durch den Bau einer Asphaltstraße in den Sechzigern wurde die Colonia Tovar dann auch den Venezolanern zugänglich gemacht: Seitdem ist es ein beliebtes Ausflugsziel. Deutschland für ein Wochenende.

Deutsches Disneyland

Faszinierend ist der erste Eindruck: Die surreale Umgebung einer tropischen Dorfidylle. Eine Kirche im Fachwerkstil wird von zwei Palmen eingerahmt. Gegenüber ist das Café Muhstall, wo es die besten Erdbeeren mit Sahne gibt. Serviert von junge Frauen mit blauen Augen und blonden Haaren. Sie gehören zu der fünften Generation der Kolonie- Bewohner. Im historischen Dorfkern reihen sich die Gemüsestände aneinander. Einen davon betreibt Ana Graciela. Sie erklärt warum die Colonia Tovar so beliebt ist: "Samstags und sonntags gibt es hier viele Touristen. Während der Wochentage wird's weniger. Sie kommen aus Caracas, Valencia, Maracay, von überall her. Die Hochsaisons sind der Karneval, die Osterwoche und das Oktoberfest. Die Leute kommen wegen der Kälte, wegen des Tourismus, wegen der hübschen Häuser, und wegen der Sicherheit auf den Straßen: Die Colonia Tovar ist das kleine Deutschland."

Ein nicht ganz unwichtiger Aspekt: Während Venezuelas Großstädte in Straßenkriminalität versinken, gibt es hier kaum Übergriffe. Was Anna Graciela vergessen hat, ist das gute Essen: Denn bis heute sind die 20.000 Bewohner fleißige Bauern. In Tovar wachsen Erdbeeren, Salat, Pfirsiche oder Radieschen. Und noch was anderes typisch Deutsches: Es gibt Schweineohren, das Blätterteiggebäck, mitten in Venezuela. Die Colonia Tovar lebt vom "typisch deutschen" Klischee: Die Touristen decken sich mit Obst und Gemüse ein, trinken das selbstgebraute Bier und essen Salchicha Alemana: Deutsche Wurst.

Hotel Selva Negra


Das Fachwerk-Hotel Selva Negra in Colonia Tovar in Venezuela.
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Das Fachwerk-Hotel Selva Negra.

Für die Besucher stehen Ferienwohnungen, Bungalows und sogar einige große Hotels bereit. Das bekannteste ist das Schwarzwald-Hotel Selva Negra: Besitzer Wolfgang Gutmann ist 1964 als 20-jähriger Hotelier ins Geschäft eingestiegen: "Das ist ein original Fachwerkhaus hier, der ältere Teil. Und wir sind eben das erste Hotel. 1936 hat man mit seinem Bau begonnen. Und heute ist es ein sehr beliebtes Ausflugslokal." Das liegt am authentischen Kaminzimmer mit Hirschgeweihen, der Volksmusik die durch die Lautsprecher plärrt und nicht zuletzt an den blonden Kellnerinnen. Die servieren im eng gepressten Dirndl Schweinshaxe und Sauerkraut.

Die Küche schmeißt Sohn Roland Gutmann, der unter anderem im Four Seasons in London und im Berliner Adlon gelernt hat. "Der Venezolaner kommt nach Tovar um originale deutsche Küche zu genießen", sagt der Junior selbstbewusst und zeigt auf den Backofen in dem rund ein Dutzend Eisbeine schmorren. "Das sind die original Eisbeine. Wir kochen die ab, bis die ganz weich und zart sind und danach legen wir die in den Ofen bei circa 230 Grad, bis sie eine richtige Kruste haben. Und das servieren wir zusammen mit hausgemachtem Sauerkraut."

Alemannisch am aussterben

Alexandra Collin ist in der fünften Generation Tovareña: Sie zählt zu einer Hand voll junger Menschen die den 170 Jahre alten Dialekt noch beherrschen. Allerdings gerät der jetzt langsam aber sicher in Vergessenheit: "Von klein auf habe ich nur alemannisch geschwatzt daheim. Dann bin ich am Kindergarten reingekommen und hatte einen Spanisch-Lehrer. Dann bin ich am Schul gekomme und da gab's noch weniger Kinder die Ditsch schwatze oder Aemannisch und an der Universitat hab ich gar koans ghabt der Aemmanisch schwatze oder Dtsch oder Epis. Und von dem her hab ichs verlernt oder vergisst."

Die von Mund zu Mund übertragene alemannische Kultur in Venezuelas Tropen ist also ernsthaft in Gefahr. Leider hat die Regierung von Präsident Nicolas Maduro momentan mit dem Preissturz des Rohöls auf dem Weltmarkt, der massiven Versorgungskrise und einer der höchsten Mordraten der Welt andere Sorgen als dieses Kulturgut zu erhalten. Aber zum Glück gibt es noch Dirndl und Salchicha Alemana: Wie es aussieht auch noch die nächsten 170 Jahre.


Stand: 07.05.2015, 11.30 Uhr



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