Interview mit Giles Duley: "Meine Rolle ist es, Zeuge zu sein"
Der britische Fotograf Giles Duley dokumentiert seit einigen Monaten die Situation von Flüchtlingen in Europa. Massive Attack zeigen seine Fotos auf ihrer Deutschlandtour. Wir haben Duley im Libanon interviewt, wo er an einer Porträtserie über ein geflüchtetes Mädchen aus Syrien arbeitet.
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Fotograf Giles Duley
Was für Fotos zeigen Sie auf den Konzerten von Massive Attack?
Das ist eine Serie, die ich für das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR fotografiert habe, um die Flüchtlingskrise in Europa zu dokumentieren. Ich habe auf der griechischen Insel Lesbos begonnen und die Geschichte in Deutschland und Finnland fortgesetzt.
Wie kam die Zusammenarbeit mit Massive Attack zustande?
Ich habe Massive Attack vor über 20 Jahren als Musikfotograf kennengelernt. Wir haben immer mal wieder darüber geredet, zusammenzuarbeiten, aber irgendwie hat es nie so ganz gepasst. Als ich auf Lesbos war, habe ich Robert del Naja angerufen und gesagt, dass diese Geschichte mehr Öffentlichkeit verdient. Ein Grund, warum ich mit Massive Attack zusammenarbeiten wollte, war, dass sie immer eine konkrete Haltung zu bestimmten Dingen hatten und nie verlegen waren, zu sagen, dass man etwas tun muss.
Wie werden Ihre Fotos in der Liveshow eingesetzt?
Die Band hatte sehr viel Respekt vor meinen Fotos. Sie wollten nicht, dass die Musik von den Fotos ablenkt. Also haben wir uns entschieden, die Fotos am Ende des Konzerts zu zeigen, um den Menschen auf den Fotos und ihren Geschichten Respekt zu zollen. Ich war mir nicht sicher, ob das funktionieren würde. Aber dann habe ich eine Show in Brighton gesehen und das Publikum hat bei den Bildern geklatscht. Das war sehr bewegend.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Fotograf in der momentanen Flüchtlingssituation?
Meine Rolle ist es, Zeuge zu sein. Seit über zehn Jahren berichte ich über die Auswirkungen von Krieg, etwa im Süd-Sudan oder in Afghanistan. Ich hätte nie gedacht, dass ich das auch einmal in Europa machen müsste. Als mich das UNHCR für diesen Job angefragt hat, war mir klar, dass ich erstmal nur die Situation dokumentieren wollte. Für mich ist das kein politisches Statement, ich wollte einfach Zeuge sein.
Gibt es spezielle Momente, die Sie mit Ihren Fotos festhalten wollen?
Mir ist es wichtig, die Menschen hinter der Statistik zu zeigen. Zahlen ängstigen uns und sie machen es uns schwer, Verständnis für Menschen in schwierigen Situationen zu entwickeln. In meiner Arbeit geht es darum, Beziehungen aufzubauen, die Menschen kennenzulernen und dann gemeinsam eine Geschichte zu erzählen. Einer der Momente, die tiefe Spuren bei mir hinterlassen haben, war, als ich am Strand von Lesbos Fotos gemacht habe. Jeden Tag kamen dort Tausende von Menschen an, die für den Versuch, in Sicherheit zu leben, ihr Leben riskiert haben. Ich habe noch nie vorher beim Fotografieren weinen müssen, aber dort wurde ich jeden Tag von meinen Emotionen überwältigt.
Im Moment arbeiten Sie an einer Porträtserie über ein geflüchtetes Mädchen im Libanon. Wer ist dieses Mädchen?
Sie heißt Aya und ist sechs Jahre alt. Ich fotografiere sie seit vier Jahren und porträtiere sie und ihre Familie. Sie hat eine schwere Behinderung des Rückens. Als ich sie kennengelernt habe, haben sie und ihre Familie noch in einem Zelt im Libanon gelebt. Mittlerweile leben sie in einer Wohnung, aber ihr Alltag ist immer noch ein Kampf. Trotzdem würde ich Aya niemals als Opfer bezeichnen. Sie ist eins der lebhaftesten Mädchen, die es gibt. Sie hört niemals auf zu lachen oder zu grinsen, und das wiederum macht mir Mut.
Stand: 27.01.2016, 10.25 Uhr
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