Interview mit Terrorexperte Peter Neumann: "Wir brauchen Geduld"
Angst und Schrecken und eine Spaltung in der Gesellschaft - das ist das, was die Terrorgruppe "Islamischer Staat" erreichen möchte. In den letzten Tagen und Wochen hat der IS mehrere Großstädte als Ziele ausgesucht, zum Beispiel Paris, Jakarta und mutmaßlich auch Istanbul. Hat der IS seine Strategie vielleicht irgendwie geändert und wenn ja, warum? Darüber haben wir mit Peter Neumann gesprochen. Er ist weltweit einer der anerkanntesten Experten für islamistischen Terrorismus und er lehrt am Londoner King’s College.
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Peter Neumann
Funkhaus Europa: : Was steckt dahinter, dass es gerade in den letzten Tagen und Wochen Anschläge in größeren Städten gegeben hat?
Peter Neumann: Ich denke schon, dass der Islamische Staat sich jetzt vor allem auf Ziele außerhalb des Kerngebiets konzentriert und das hängt möglicherweise auch damit zusammen, dass innerhalb des Kerngebiets, also in Syrien und in Irak, die Sachen nicht mehr so laufen wie sie mal gelaufen sind. Der Islamische Staat hat im letzten Jahr insgesamt vierzehn Prozent ihres Territoriums verloren. Das heißt, in Syrien und Irak sind sie ganz schön unter Druck und möglicherweise ist die Strategie, jetzt durch Anschläge außerhalb des Kerngebiets davon abzulenken.
Funkhaus Europa: Das heißt, diese neue Stragtegie ist einfach nur ein Kurswechsel, um sich selbst zu stärken?
Peter Neumann: Ja. Man muss auch verstehen, die Rekrutierung des Islamischen Staates läuft auch darüber, dass er den Eindruck erweckt, dass er stark ist, dass er immer expandiert und dass er unaufhaltsam ist. Und wenn man diese Anschläge verübt, kreiert man sozusagen genau dieses Image. Und das ist in den letzten Monaten vor Paris ein bisschen angekratzt worden, weil der Islamische Staat eben viele Verluste zu verzeichnen hatte.
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Unterstützer des IS
Funkhaus Europa: Das heißt, wir müssen hier im Westen damit rechnen, dass es hier in Zukunft noch mehr Anschläge gibt.
Peter Neumann: Ich denke schon, und wir wissen auch, dass seit Januar 2015 der sogenannte Islamische Staat auch konkret plant, in Europa weitere Anschläge durchzuführen. Europa ist ganz wichtig für den Islamischen Staat. Zum einen kommen viele Rekruten hier her, zum anderen ist es so, dass natürlich Europa Teil der Allianz ist, die gegen den Islamischen Staat kämpft. Das heißt aus verschiedenen Gründen ist Europa wichtig und natürlich auch durch den Landweg verbunden, also müssen wir uns auf mehr einstellen.
Funkhaus Europa: Was können denn jetzt die Anti-Terror-Allianz oder die einzelnen Staaten machen, um diesen Terror zu bekämpfen?
Peter Neumann: An ganz vielen Fronten. Auf der einen Seite - in Europa zum Beispiel - geht es vor allem darum, besser zu kooperieren. Gerade jetzt mit Paris ist deutlich geworden, wie schlecht die Kooperation innerhalb Europas immer noch funktioniert, dass also Leute nach Europa gekommen sind, ohne dass Informationen ausgetauscht wurden, ohne dass verschiedene europäische Staaten miteinander geredet haben. Zum zweiten geht es darum, auch den Druck auf den Islamischen Staat im Kerngebiet aufrechtzuerhalten. Dort ist der Islamische Staat bereits unter Druck, aber das muss noch weitergehen. Und das dritte und letzte ist natürlich Geduld, denn die ganz schnelle Lösung wird es nicht geben. Mit diesen Problemen werden wir uns wahrscheinlich noch Jahre auseinandersetzen müssen.
Stand: 15.01.2016, 11.01 Uhr
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