Süpertunes - Attwenger | Faada Freddy Folk Dadaisten & westafrikanisches Gospelalbum

Von Johannes Paetzold

Das Folk-Anvantgarde Duo Attwenger aus Linz in Oberösterreich verwirbelt Worte zu skurrilen Lautmalereien. Und der Senegalese Faada Freddy legt ein Debut mit umwerfender Gospelmusik vor - ohne Instrumente nur mit der Kraft der Stimmen eingespielt!


Attwenger: Spot
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Attwenger: Spot

Attwenger: "Spot" (Trikont)

Attwenger sind im oberösterreichischen Linz beheimatet. Im Duo übernimmt Markus Binder das Schlagzeug und die Maultrommel, Hans Peter Falkner spielt die Knopfharmonika. Die beiden sind mit ihrer Musik immer aus dem Rahmen gefallen. Volksmusik ist lediglich ihr musikalischer Ausgangspunkt. Anarchistisch und fast punkig pflügen sie sich durch die Musik, zerstückeln bekannte ländliche Harmonien. Attwenger sind punkig und avantgardistisch, und immer skurril. Wortdrechsler, Dadaisten der Phonetik. Seit 25 Jahren spielen die beiden zusammen. Und mit "Spot" haben sie mal wieder eine typisch verrückte Idee auf Albumlänge vor uns ausgebreitet.

Lang lebe die Kurzlebigkeit!

Auf ihrer neuen Platte setzen Attwenger auf die Kurzform: Die Songs sind im Schnitt nur anderthalb Minuten lang. Diese wechseln sich mit noch kürzeren Einspielen ab, wie kleinen Jingles oder Spots, nach denen sie ihr Album genannt haben, und die in weniger als je einer Minute ihre Statements auf den Punkt bringen. Da wird auf 25 Sekunden das Einfamilienhaus besungen und endet mit dem Satz "Ich halt Dich nicht auf!" Das alles begleitet vom fröhlichen Akkordeonschunkler. Oder die beiden sinnieren über den tiefsinnigen Gedanken: "ich bin froh - das ich nicht so bin wie du". Im Spot Japaner geht die Schunkelgeschichte so: "Ein japanischer Tourist lehnt sich übers Geländer in Wien, fällt runter. Zum Glück nur einen Meter. Er tut sich nicht weh. Und alle sind froh, die Wiener und der Japaner“. Skurril? Einfach Attwenger. Kurze knackige verrückte Singgeschichten, ohne Ende oder Auflösung. Zum Schmunzeln, aber auch hintersinnig wie ein japanisches Haiku. In den Spots zeigen sich Attwenger in Tradition der Wiener Poeten des Abstrusen Andre Heller und Helmut Qualtinger.

Die lautmalerische Nähe von Englisch und österreichischem Dialekt

Attwenger haben immer mit den Worten als phonetischen Einheiten gespielt. Immer wieder verschmelzen bei ihnen österreichischer Dialekt und englische Sprache. "Song" heißt Lied im Englischen, und "sagen" im österreichischen. "Dog" ist der Hund, aber auch der "Tag". Markus Binder als Texter des Duos spielt kunstvoll mit diesen sprachlichen Klangeinheiten. Spot zeigt, dass dieses Feld noch immer neue verrückte Wortknäuel abwirft. Im Song Maunda wird alles auf den Montag in acht Tagen verschoben, in Schmafu werden wir Teil des trostlos eintönigen Tages einer Couch-Potato vor dem Fernseher. Binder durchforstet den Alltag und findet noch in der banalsten Routine die absurdesten Entdeckungen. Karl Valentin lässt grüßen. Das ist schon schräg. Aber kann man damit Menschen beglücken, die des österreichischen Humors und Dialekts nicht mächtig sind? Antwort - passd scho: Man muss sich eben drauf einlassen. Dazu hilft ein Textblatt. Je dialektaler Attwenger reimen, umso internationaler werden sie. In ihren 25 Bühnenjahren sind die beiden in über 20 Ländern in mehreren Kontinenten aufgetreten. Ländern, wo man kein Deutsch spricht, schon gar nicht den österreichischen Dialekt versteht. Attwenger funktionieren auch und gerade auf der lautmalerischen Ebene.

Zuhören!

Wer genau zuhört, entdeckt die Tiefe der Texte. Aber man kann sich auch einfach sinnfrei in die weichen Konsonanten des österreichischen Dialekts fallen lassen. Dazu pushen Attwenger auf Spot einmal mehr ihre Volksmusik mit Elektronik auf. Auf Spot zeigen sich Attwenger melodiöser denn je, Spot ist auch Pop, wenn auch gekreuzt mit Skurrilität, Kleinkunst und avantgardistischen Schnörkeln. Attwenger haben in ihrer Geschichte schon den Blues und afrikanische Rhythmen mit einfließen lassen genau wie den Techno-Beat. Und Spot schreitet da weiter munter voran. Mit wummernden Akkorden unter dadaistischen Texten. Da bekommt man eine Ahnung, wo sich Österreichs derzeitiges musikalisches Aushängeschild Bilderbuch neben Falco noch haben inspirieren lassen. Spot ist typisch Attwenger: Irrsinnig komisch. Mit Themen von Ende der Welt, Blick durch Jalousien, Homoerotik und Wortrouladen. Attwenger kommen vielleicht aus derselben Wurzel wie der Musikantenstadl, aber bei ihnen gibt es eben auch eine Idee von Volksmusik, die wild, authentisch und verrückt sein kann. Und jetzt sogar den Karl Moik überlebt hat.

Faada Freddy "Gospel Journey" (Think Zik)


Faada Freddy: Gospel Journey
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Faada Freddy: Gospel Journey

Rapper Faada Freddy heißt bürgerlich Abdoul Fatah Seck und stammt aus der Stadt Saint-Louis im Senegal. Er ist Teil von einer der wichtigsten Gruppen der Senerap Szene - Daara J. Diese senegalesische Hip Hop Gruppe gibt es schon seit Anfang der 90er Jahre. Faada Freddy ist selbst gerade 40 Jahre alt geworden. Ein erfahrener Musiker im Hip Hop, welterfahren. Gospel Journey ist sein Solodebut auf Albumlänge.

Ein frankophones Gospel Album

Einige erste Songs aus dem bevorstehenden Album machen schon seit einiger Zeit die Runde, "Letter to the Lord" zum Beispiel, oder "Little Black Sandals". Mit beiden Songs ahnte man, da könnte ein sehr spannendes außergewöhnliches Album folgen. In diesen Songs mischten sich bereits Gospelchöre mit Soul und Folk. Das Album "Gospel Journey" mit seinen elf Songs übertrifft jedoch alle Erwartungen. Schon bei Daara J bewies Faada Freddys ein großes Gespür für Melodie. Faada Freddys Rapflows kommen dazu aus dem Jazz, sind inspiriert von den Großen des Genres. Weich, gefühlvoll, das ist frankophoner Rap, der an seinen Landsmann MC Solaar erinnert, der prägend für den westafrikanisch frankophonen Rap war. Faada Freddy treibt diesen jazzigen melodiösen Hip Hop weiter zu neuen Terrains, vermählt ihn mit den besten Gospeltraditionen der USA. Dieser Folk-Soul, dieser Gospel kommt aus tiefster Kehle und Seele, er hat etwas spirituell religiöses. Diese Lieder könnte man sich jederzeit in einer Kirche der Afroamerikaner neben einer Mahalia Jackson vorstellen. Aber natürlich ist der Ursprung Westafrika, und auch diese Färbung schimmert immer wieder durch, obwohl Faada Freddy in einem Patois Englisch singt und rappt.

Gospel A Capella

Man hört das Album vor und zurück, und staunt jedes Mal über ein anderes wichtiges Merkmal dieses Albums, alle elf Songs sind A-Cappella gesungen. Instrumentenfrei setzt Faada Freddy seine Stimmbänder ein, als Human Beat Box, als Soul-Sänger. Und da brilliert er als kleiner Bruder von Stimmathlet Bobby McFerrin. Die menschliche Stimme lässt uns auf Gospelchören empor fliegen. Unglaublich. Wer da keine Gänsehaut bekommt. Und Faada Freddy weiß dieser musikalischen Intensität die Texte auf Augenhöhe gleichzusetzen. "Reality Cuts me with a Knife", "die Wirklichkeit schneidet mich wie ein Messer" singt er. Faada Freddy textet keine Schmusesongs, seine Worte stammen aus einer politisch humanistischen Feder, mit den Erfahrungen der afrikanischen Situation eines engagierten Rappers. "Generation Lost" passt dazu, ein Song, wo Faada Freddy an die Tiefe eines Marvin Gayes heranreicht. Jazz, Blues, Folk, Hip Hop reihen sich hier um die Gospelmusik. Auf Gospel Journey haben wir auch den Song Borom Bi auf Wolof, Faada Freddys erster Sprache. Es gibt diese westafrikanische Sensibilität. Aber dieser Musiker hat besonders eine enge Verbundenheit mit den Formen schwarzer Musik aus den USA. Und schafft so ein reichhaltiges Angebot und musikalisches Universum für Soul-Fans, Anhänger von Folk-Reggae, Jazz und hat gleichzeitig ein Hitpotential fast in jedem einzelnen Song. Gospel Journey - schon jetzt eines der umwerfend brillianten Alben und Highlights der schwarzen Musik dieses Jahres.


Stand: 27.03.2015, 09.00 Uhr