Süpertunes - The Internet | Rio Negro R&B beim Erwachsenwerden & Rauschhafte Hybridität

Von Christian Werthschulte

The Internet fragen sich, was kommt, wenn HipHop-Rabauken erwachsen werden. Rio Negro graben sich in die Musikgeschichte des Amazonas und entdecken dort eine rauschhafte Hybridität.


The Internet: "Ego Death"
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The Internet: "Ego Death"

The Internet: Ego Death (Sony)

Im Rennen um den besten Albumtitel des Jahres sind The Internet auf jeden Fall unter den Favoriten. "Ego Death" heißt ihr drittes Album und in Kombination mit dem Bandnamen wird daraus fast ein Programm. Denn die sechsköpfige Band ist Teil der Odd-Future-Posse und die war vor vier Jahren DAS Ding bei allen HipHop-Journalisten und Bloggern, gerade weil sie so größenwahnsinnige Egos hatten. Mittlerweile ist der große Hype vorbei, und The Internet konzentrieren sich auf das Wesentliche: auf relaxte Songs und Texte ohne viel Bullshit.

Understatement und Do-it-yourself

Die beiden Hauptverantwortlichen, Sängerin Syd tha Kyd und Beatmaker Matt Martians liefern dabei eine tiefenentspannte Produktion voll Understatement und Do-it-yourself-Charme. Auf "Girl" hört man Boom-Bap-Beat, dazu ein paar Streichersamples, einen Synthesizer und Bass. Darüber singt Syd singt von ihrer Freundin und versucht erst gar nicht, nach einer R&B-Diva zu klingen. Stattdessen hat sie ein gewisses Understatement in der Stimme. The Internet haben keine Lust auf Attitüde.

Verletzbar und machtlos

Durch "Ego Death" zieht sich ein Bewusstsein für die eigene Verletzbarkeit. "Hast du die Nachrichten gesehen, sie haben wieder einen erschossen", singt Syd tha Kyd auf "Penthouse Cloud", einem Stück über die Polizeigewalt gegen Afro-Amerikaner. The Internet machen daraus keinen wütenden Protestsong, sondern beschreiben, wie machtlos sie sich fühlen. "Ego Death" ist ein entspanntes und trotzdem etwas unheimliches Album. Es erzählt vom Nicht-so-richtig-klarkommen mit der Welt, von der man mal geglaubt hat, dass sie einem gehören würde.

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Rio Negro: "Amazonas"
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Rio Negro: "Amazonas"

Rio Negro: Amazonas (Cómeme)

Das Label Cómeme widmet sich seit vielen Jahren den südamerikanischen Hybriden von Club und Pop-Musik. Auf seiner letzten Veröffentlichung, dem Album „Amazonas“ von Rio Negro, klingen die vier versammelten Produzenten, als als hätte jemand Cumbia, Salsa, Techno und die Psychedelia des südamerikanischen Kontinents zu einer bewusstseinserweiternden Droge vermischt. Im Titelstück des Albums treffen ein Cumbia-Rhythmus, ein schleppender Bass und diese etwas überdrehten Synthesizer-Melodien. Das Stück ist eine Coverversion eines alten peruanischen Cumbia-Stücks aus den 1970ern und das Video erzählt die Geschichte von "Yacuruna", die mythische Schöpfungsgeschichte des Amazonas.

Palimpsest am Stadtrand

Soviel Popgeschichte auf sechs Minuten ist kein Zufall. Das Album wurde an den Rändern von Medellin im Stadtteil Rio Negro aufgenommen. Abends haben die vier Bandmitglieder Sebastián Hoyos, Gregorio Gomez, Natalia Valencia und Matias Aguayo dort zusammengesessen und Salsa- und Cumbia-Platten gehört. Dazu haben sie mit den elektronischen Instrumenten gejammt, andere Musiker dazu geholt und so die Platte in ihre endgültige Form gebracht. "Amazonas" ist ein Palimpsest aus lateinamerikanischer Popmusik und elektronischer Musik aus den USA und Europa.

Lateinamerika, USA, Europa - alles eins

In den besten Momenten dieses Albums lösen sich die Grenzen zwischen diesen Schichten auf. Auf "Negro Empoleta" lassen Rio Negro die Percussion-Sounds und den Basslauf alter House-Platten auf eine Cumbia-Gitarre treffen, die man so auch auf einer Psychedelic-Beat-Platte der 1960er finden könnte. Darüber liegt ein Sample des Cumbia-Instruments schlecht hin, dem Akkordeon, das wie ein entfernter und verfremdeter Einfluss in das Stück hineinweht und zugleich Auf "Amazonas" verschmelzen vier Jahrzehnte Musikgeschichte zwischen Lateinamerika, USA und Europa in einer rauschhaften Hybridität.


Stand: 27.11.2015, 10.00 Uhr