Krimitipps - Januar 2016: Die Renaissance der Krimi-Klassiker
Ein Phänomen auf dem Buchmarkt: Vor allem kleinere Verlage bringen verschollene Klassiker der Spannungsliteratur neu auf den Markt, häufig auch in neuer, zeitgemäßer Übersetzung. Ein Fest – nicht nur für Genrefans.
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Szene aus der Buchverfilmung "Cutter's Way - Keine Gnade"
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Zum Beispiel der Roman "Cutter and Bone" (Polar, Euro 14,90) von Newton Thornburg, 1929-2011, ein Highlight der amerikanischen Spannungsliteratur, erstmals erschienen 1976, nun neu übersetzt von Susanna Mende und auch insofern eine (Wieder-)Entdeckung wert: Ein eleganter, zynischer, unbestechlicher Text, der desillusioniert aus der amerikanischen Vietnam-Nachkriegszeit erzählt. Und einer der Romane, die gute Chancen hätten, wenn ein Wettbewerb des unkonventionellsten Einstiegssatzes abgehalten würde: "Es war nicht das erste und wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal, dass sich Richard Bone mit einem Remington Ladyshaver rasierte."
In die 1980er Jahre reist man dagegen am Besten mit Charles Willeford, 1919-1988, und seinem Ermittler Hoke Moseley, einem so toughen wie kaputten Bullen, der für‘s Miami Police Department arbeitet. Moseley ist einer der interessantesten Ermittlercharaktere der letzten Jahrzehnte, vier Romane hat Willeford um ihn herum gestrickt, in einer neuen Übersetzung von Jochen Stremmel sind beim Berliner Alexander Verlag im vergangenen Jahr "Miami Blues" und "Neue Hoffnung für die Toten" (beide Euro 14,90) erschienen, die Bände 3 und 4 werden wohl in Bälde folgen.
Überhaupt, der Alexander Verlag, einer der Vorreiter in Sachen vergessene Krimiklassiker – nicht nur mit Charles Willeford, sondern vor allem wegen Ross Thomas, 1926-1995. Dieser Autor ist einer der Klassiker der Spannnungsliteratur schlechthin, seine eleganten Politkrimis, deren Erzählweise die Serie "House of Cards" wie eine Reminiszenz erscheinen lässt, waren jahrelang allerdings nur in gekürzten und oft schlecht übersetzten Fassungen auf Deutsch zu lesen. Der Alexander Verlag würdigt diesen großen Autor mit Neuübersetzungen und einer Gesamtausgabe – fantastisch. Zuletzt erschienen: "Dornbusch" (Euro 14,90)
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William McIlvanney
William McIlvanney, geboren 1936, starb Anfang Dezember 2015, die Renaissance seiner Kriminalromane in Deutschland durfte der Schotte noch erleben. Drei sozialkritische Krimis im besten Sinn um einen Kripopolizisten namens Laidlaw sind es, mit denen McIlvanney das Schottland der 1980er Jahre beschreibt; neu übersetzt von Conny Lösch hat sie der Kunstmann Verlag 2014 und 2015 der deutschen Lese-Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. ("Laidlaw", "Die Suche nach Tony Veitch” und “Fremde Treue”, jeweils Euro 19,95)
Großes vorgenommen hat sich in Sachen Krimiklassiker der kleine culturbooks-Verlag: Nach und nach will man digital alle 55 Romane neu veröffentlichen, die der amerikanische Autor Ed McBain, 1926 bis 2005, um das 87. Polizeirevier geschrieben hat. Mit dieser Serie hat McBain in den 1950er Jahren den Polizeiroman neu erfunden und Maßstäbe gesetzt, die bis heute Wirkung haben, das kann man dann im Einzelnen nachlesen. Schon mal vor-gelesen haben der Publizist Alf Meyer und der Krimiautor Frank Göhre: Sie haben sich alle 55 Romane konzentriert zu Gemüte geführt und in Teamarbeit ein kleines Buch über McBain und sein Werk zusammengestellt: “Cops in the City. Ed McBain und das 87. Polizeirevier. Ein Report.” Die Nachfrage nach diesem Text, der eigentlich bloß als Ebook geplant war, ist anscheinend so groß, dass er jetzt auch in gedruckter Fassung erscheinen ist (culturbooks unplugged, Euro 17,90).
Alles in allem kann man sagen, dass die Renaissance der Krimiklassiker tolle, zum Teil großartige Texte nicht nur neu, sondern erstmals richtig auf Deutsch zugänglich macht. Auffällig ist allerdings, dass es sich vorwiegend um Romane aus der amerikanischen Genreliteratur handelt, die von Männern verfasst wurden. So ein bisschen hat das Ganze was von einem Ding für Männer in fortgeschrittenem Alter, die ihren Wein, ihre Zigarre und eben ihren Noir zu schätzen wissen. Insofern wäre es schon klasse, wenn sich demnächst auch Neu-Entdeckungen von Frauen und aus anderen Krimi-Gefilden in den Verlagsprogrammen finden würden.
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Zoe Beck: Schwarzblende
Einstweilen als konterkarierender Lesetipp deshalb abschließend der Hinweis auf drei klasse Spannungsromane von jüngeren Frauen, die 2015 erschienen sind: "Schwarzblende" von Zoe Beck (Heyne, Euro 9,99) bringt den Terror nach London, ein Roman zur Stunde, wie man so sagt. "Die Falle" von Melanie Raabe (btb, Euro 19,99) entwickelt sich zum Überraschungserfolg in den USA, ein Global Player. Und "Sieben Jahre Nacht" von Jeong Yu-Jeong (Unionsverlag, Euro 19,95) ist ein intelligenter, extrem packender Thriller – aus Südkorea.
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Jeong Yu-jeong: Sieben Jahre Nacht
Stand: 05.01.2016, 18.00 Uhr
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