Just Music - Rai Pop Franzosen aus Algerien

Von Joachim Deicke

Frankreich hatte lange Zeit viele Kolonien in Nordafrika. Als Algerien 1962 unabhängig wurde, kamen viele Algerier nach Frankreich. Doch noch heute leben viele von ihnen in ihren eigenen Vierteln mit eigenen Traditionen und einer eigenen Musik. Joachim Deicke hat reingehört.


Rai Pop-Star Rachid Taha
Bild 1 vergrößern +

Carte de Sejour – Bleu de Marseille

Vor rund 30 Jahren, in alten New Wave-Tagen, stolperten Trendsucher über einen neuen Sound aus Frankreichs Vorstädten: Rachid Taha und seine Band 'Carte de Sejour' spielten Rockmusik, die genauso europäisch wie nordafrikanisch klang. Irgendwie hatte diese Truppe einen Vertrag mit einer der ganz großen Plattenfirmen ergattert. Und damit hörte man sie plötzlich in ganz Europa.

Carte de Sejour – Douce France

Es war ein kleiner Skandal, wie 'Carte de Sejour' dieses alte, patriotische Chanson vom "Süßen Frankreich" interpretierten. Bei vielen Radiosendern durfte der Song nicht laufen. Aber das machte ihn nur populärer. Und man hörte plötzlich, dass wohl nicht jeder Franzose mit Baskenmütze und Baguette auf die Welt kommt.

Fadela & Sahraoui – N'sel Fik

In den Vorstädten konnte man sich schon lange mit Kassetten aus Marokko, Tunesien und Algerien versorgen. Doch in den Siebzigern wurde daraus ein echter Marktplatz. In Studios, Übungsräumen und Konzertsälen trafen sich junge französische Musiker mit den Stars Nordafrikas, tauschten sich aus, starteten neue Projekte.

Raina Rai – Hagda

Die meisten dieser Musiker waren Algerier: Viele Familien lebten schon seit Jahrzehnten in Frankreich. Andere waren nach der Unabhängigkeit geflohen. Und wieder andere kamen in den 80ern, als algerische Islamisten begannen, alle zu verfolgen, deren Leben ihnen zu freizügig erschien, darunter viele Musiker, wie der junge Khaled.

Cheb Khaled et Safy Boutella – Chebba

Was in dieser Französisch-Algerischen Szene entstand, war die erste so genannte "World Music": Eine junge Musik, die Grenzen ignoriert und nach Herzenslust nordafrikanisch-arabische Melodien mit Rock, Reggae und Disco verquirlt. Heute nichts Aufregendes – damals aber war dieser Rai-Pop umwerfend neu.

Cheb Kader – Ya Galbi

Musiker wie Cheb Kader waren längst in Europa angekommen. Sie waren mit Beatles, Pink Floyd und Jacques Dutronc aufgewachsen, sie brachten aber auch etwas neues mit. Und damit stellten sie den anderen Franzosen die Frage: "Wie haltet ihr's denn mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ... wenn es um uns geht?" Seit über hundert Jahren haben Algerier als Soldaten für Frankreich gekämpft, als Saisonarbeiter geackert: Aber mehr als Bürger zweiter Klasse sind sie nie geworden.

Cheb Zahouanie – Moul el Bar

Klar: Frankreich suchte sich seine Lieblinge unter den nordafrikanischen Neubürgern. Auf Zidane, Khaled und die schillernd-bunte Multikulti-Szene war man stolz. Aber die meisten Franzosen mit afrikanischer Vergangenheit sind Außenseiter geblieben. Und die bitten heute nicht mehr – wie vor 30 Jahren im Rai-Pop – um Anerkennung. Die Musik aus den Banlieues klingt heute deutlich anders.

Medine – Speaker Corner


Stand: 27.11.2015, 16.20 Uhr