100. Geburtstag von Billie Holiday: Jahrhundertsängerin und Bürgerrechtlerin
Billie Holiday ist eine der einflussreichsten Jazz- und Bluessängerinnen aller Zeiten. "Lady Day", wie sie auch genannt wurde, ist seit über 50 Jahren tot, doch ihre Platten verkaufen sich immer noch. Sie beeinflusst bis heute Künstler weltweit durch ihren Gesangsstil, ihre antirassistische Haltung und ihren Style.
Am 7. April 1915 kommt Elinor Harris, wie Billie Holiday eigentlich heißt, in Baltimore zur Welt, in einem Viertel voller Bars und Bordelle - und voller Jazz. Ihre Mutter Sadie ist sehr jung, arbeitet als Putzfrau und Prostituierte, der Vater ist Musiker und kurz danach über alle Berge - nichts Ungewöhnliches, sondern eher alltäglich damals im Schwarzen-Ghetto. Das Geburtsdatum stimmt, aber alles andere, was danach im Leben der Sängerin mit der dezent heiseren Stimme passiert ist, wurde unter Bergen von Anekdoten, Mythen, Legenden vergraben. Billie Holiday hat manchmal selbst dazu beigetragen, u.a. durch ihre Biografie "Lady sings the Blues", aber auch die Medien, ihre Ehemänner, Geliebten, Musiker und Manager, das FBI. Sicher ist nur: Mit elf Jahren wird sie zum erten Mal vergewaltigt, mit 14 zieht sie nach Harlem und am 17. Juli 1959 stirbt sie mit nur 44 Jahren von der Drogenpolizei bewacht im Metropolitan Hospital in New York.
Ein Leben in Schwarz-Weiß
Von Anfang an erlebte Billie Holiday, was es bedeutet eine Frau zu sein, schwarz,und aus der Unterklasse zu stammen. Arbeitsaussichten: Hausmädchen oder Hure. Sie hat eine Urgroßmutter, die sie sehr liebteund die ihr viel erzählte aus ihrem Leben. Rebeca Fagan war die Sklavin und Mätresse eines weißen Plantagenbesitzers gewesen, der sich neben seiner Ehefrau Billie Holidays Großmutter hielt und 16 Kinder mit ihr zeugte.
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Billie Holiday 1950
Später, als Holiday schon eine gefragte Sängerin war, musste sie als Afroamerikanerin manchmal durch den Hintereingang die Clubs betreten, im Bus essen, während ihre weißen Bandmitglieder im Restaurant saßen. Sie sollte den Lastenaufzug nehmen, weil sie schwarz ist. Kein Wunder, dass sie 1939 die Erste war, die es wagte, die Lynchjustiz öffentlich zu kritisieren: mit dem Song "Strange Fruit" - ein vertontes Gedicht, das eine der ersten großen Protest-Hymnen wird. In der leidenschaftlichen Anklage singt sie von einer "Seltsamen Frucht", die an einem Baum hängt, es ist der Körper eines Schwarzen, der da von Weißen aufgehängt wurde. Den Song erklärte das Time Magazine in Billie Holidays Version zum "Song des Jahrhunderts". Er wurde 1978 auch in die Grammy Hall of Fame aufgenommen. Danach war Billie Holiday zwar als Sängerin noch gefragter, aber über Nacht auch zur politischen Figur geworden.
Singen wie ein Instrument
Es waren Bessie Smith und Louis Armstrong, die Billie Holiday schon als junges Mädchen auf dem Grammophon einer Nachbarin hörte und die sie imitieren wollte. Zuerst trat sie in den Speakeasies gegen Trinkgeld auf, doch es sprach sich schnell herum in Harlem, dass es da eine ganz besondere Sängerin gab. "She has Ears", sagten die Musiker und sie wurde ja nur von besten Instrumentalisten begleitet, von Benny Goodman, Count Basie, Artie Shaw, Lester Young. Sie begriff sich nicht als die Sängerin, sondern als Teil der Band. Sie hatte nicht das Gefühl zu singen, sondern eher ein Blasinstrument zu spielen.
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Sang nur, was sie auch erlebt hatte
Ihre Stimme war kein durchdringendes Organ, sondern etwas Fragiles, Zartes, manchmal Zerbrechliches. Gleichzeitig stark, swingend, rhythmisch, eindringlich und sinnlich. Sie war eine Meisterin im Understatement und spielte bravourös mit den Möglichkeiten des Mikrofons. Trotz ihrer großen Musikalität hatte der Text bei ihr die Hauptrolle und sie sang nur, was sie auch erlebt hatte oder fühlen konnte. Billie Holiday konnte keine Noten lesen, aber ihr Timing war intuitiv perfekt. Sie veränderte die Songs ständig und sang sie jedes Mal anders.
Die Betäubung
Es gibt viele Gerüchte über den Drogenkonsum von Billie Holiday. Sicher ist: Sie trank, kiffte, spritzte sich später Heroin, so wie das viele Jazzmusiker taten, und sie war nach eigener Überzeugung eine von ihnen. Was Männer betraf, war sie ebenfalls süchtig - leider immer nach den falschen Typen: der eine Ehemann Zuhälter, der andere Dealer, der dritte nahm sie aus und ließ sie dann kurz vor ihrem Tod, als es ihr schlecht ging, sitzen. Zudem waren nicht nur die Medien wegen des Lebenswandels und der Ständigen Auf und Abs hinter ihr her, sondern auch die Polizei und das FBI.
Angeblich wegen ihrer Drogenabhängigkeit, wohl aber auch wegen ihrer antirassistischen Haltung. Sie machten ihr das Leben zur Hölle. Billie Holiday war ein Star, aber sie wurde überwacht, kam ins Gefängnis. Anschließend wurde ihr die Arbeitserlaubnis für New Yorker Clubs, in denen Alkohol ausgeschenkt wurde, entzogen - sie bekommt sie bis an ihr Lebensende nicht wieder. Ein tragisches Leben, aber sie hat sich nie als Opfer gesehen, sondern als selbstbestimmte Frau. Sie ist eine Rebellin mit einem Riesentalent und einer enorm sinnlichen Ausstrahlung - die allerdings auch mal zuschlägt, wenn ihr einer blöd kommt.
Die Verehrung
Über 50 Jahre nach Billie Holidays Tod haben die Menschen immer noch das Gefühl, dass sie ihre Seelen berührt beim Singen. Ein Journalist hat geschrieben: "Billie Holidays Stimme ist - wenn sie das will - die kürzeste Entfernung zwischen zwei Punkten: ihr selbst und dem Zuhörer." Und ihre Wirkung auf Sängerinnen und Sänger ist ebenfalls noch enorm. Vorbild, Ikone, Lehrerin, in zahlreichen Interviews fällt ihr Name. Femi Kuti, Cat Power, Jaqee, Rokia Traoré, Viktor Lazlo, Joy Denalane, Jill Scott, Belleruche, Soha, Hindi Zahra, India Arie, Maria Carey, Amparo Sanchez, Cao Emerald, Dee Dee Bridgwater, Mariama... Die Liste ist lang und hat zum 100. Geburtstag auch mehrere Tribute-Aufnahmen hervorgebracht, darunter Alben von José James, Cassandra Wilson und Rebecca Ferguson. Manche wollen singen wie sie, manche dieselbe innere Haltung transportieren und manche stecken sich auch Gardenien ins Haar, so wie sie es tat.
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Stand: 07.04.2015, 00.00 Uhr
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