Musikspecial - Revolutionäre Musiker Mit Töpfen und Pfannen zur Revolution

Von Elmas Topcu

Vor zwei Jahren begann in der Türkei der Protest junger Aktivisten gegen ein Bauprojekt auf dem Gelände des Istanbuler Gezi-Parks. Die als #Occupygezi bekannte Bewegung erhielt breite Solidarität, auch von Künstlern wie den Bands Kardeş Türküler und Grup Yorum.


Türkische Polizei gegen Demonstranten
Bild 1 vergrößern +

Gezi-Proteste

Töpfe und Pfannen waren die Waffen der Demonstranten in der Türkei, denn auf Töpfen und Pfannen Geräusche zu erzeugen, ist im Nahen Osten ein traditionelles Zeichen des Unmuts. Auch in der Türkei halten die Menschen sie hoch und schlagen darauf, wenn sie ihrer Wut und ihrem Ärger Luft machen wollen. So kamen Töpfe und Pfannen auch vor zwei Jahren bei den Gezi-Protesten zum Einsatz. Jeden Abend, um punkt 21 Uhr schlugen insbesondere Frauen und ältere Menschen vor ihren Häusern, auf den Balkons oder vor geöffneten Fenstern auf Töpfe und sie riefen laut: wir sind bei euch, wir sind bei euch! So zeigten sie ihren Unmut gegen die als autoritär empfundene Politik Erdoğans, aber auch ihre Solidarität mit den jungen Aktivisten auf den Straßen und im Gezi-Park.

Der damalige Ministerpräsident Erdoğan reagierte empört und kritisierte die Protestierende mit dem Spruch: "Immer die Töpfe und Pfannen, immer der gleiche Ton". Daraufhin komponierte die Band Kardeş Türküler das "Lied der Töpfe und Pfannen", das schnell zur Hymne der Gezi-Bewegung wurde.

Lieder der Brüderlichkeit

Kardeş Türküler sind eine der wichtigsten politischen Bands der Türkei. Sie waren sehr aktiv bei den Gezi-Protesten. Gegründet wurde die Band Anfang der 90er, als die großen Demonstrationen im Kurden-Gebiet in Südostanatolien ihren Höhepunkt erreichten. Außerdem waren damals die Frauenbewegung und die Studentenbewegung zehn Jahre nach dem Militärputsch wieder zurück. In dieser politisch aufgeladenen Lage wurde das Projekt Kardeş Türküler geboren, bestehend aus zwölf Studenten.

Die Frontfrau der Band Feryal Öney sagt: "Die Lage war damals sehr angespannt, wir fragten uns, was wir als Studenten machen können und haben uns für die Musik entscheiden". Seitdem singt die Band, die auf Deutsch "Lieder der Brüderlichkeit" heisst, über die Menschenrechte, über die soziale und ethnische Vielfalt in der Türkei. Sie singt in allen Sprachen, die in Anatolien gesprochen werden, sogar auf Armenisch - bis dahin ein absolutes Tabu.

Teil einer politischen Bewegung

Eine weitere wichtige politische Band der Türkei, die auch bei den Gezi-Protesten aktiv mitgemacht hat, ist Grup Yorum. Ihre Aktionen gehen weit über die Musik hinaus, denn Grup Yorum verstehen sich als Teil einer politischen Bewegung. Musik ist für sie ein Mittel zur Revolution. Der Bassist des fünfzehnköpfigen Kollektivs Ibrahim Gökçek erzählt, dass sie durch die Musik ihre Ziele und Werte transportieren.

Grup Yorum setzen sich seit 1985 aktiv gegen Folter ein. Sie demonstrieren gegen das marode Bildungssystem in der Türkei, beteiligen sich an Hungerstreiks politischer Häftlinge, setzen sich für das Streikrecht der Arbeiter ein. Nach dem Grubenunglück in Soma im Mai 2014 haben sie sich mit den Familien solidarisiert. Überall hörte man ihren unter die Haut gehenden Song "Madenciye" auf Deutsch "Für meine Kumpel":

"Wir unter Tage appellieren an die über Tage
die Zechen sind unser
Wenn es der Tod bedeutet
Heute ist Streik
Wir haben nichts zu verlieren Kumpel…“

Im April wurden einige Grup Yorum Mitglieder festgenommen, als sie vor dem schwarzgebauten Prunkpalast des Staatspräsidenten Erdogan protestierten. Aber die Mitglieder sind es gewohnt, denn sie gehen seit Jahren auf die Barrikaden. Sie sehen sich eben weniger als Protestmusiker, sondern tatsächlich als Revolutionäre, die auch Musik machen.


Stand: 19.06.2015, 10.30 Uhr