CD der Woche - Nachtmensch Rap mit Musikalität und Tiefgang

Von Adrian Nowak

Sevket Dirican will mehr als nur mit Reimen jonglieren. Als Chefket bildet der Berliner Wortakrobat den Gegenentwurf zum Gangstarap: persönliche Texte mit Substanz und Skills zu soulvollen Beats. Mit seinem dritten Album „Nachtmensch“ könnte nun der ganz große Erfolg kommen.


Chefket
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Seit über 15 Jahren ist Chefket als Rapper aktiv und einer der technisch versiertesten Wortakrobaten Deutschlands. Angefangen hat er in Heidenheim an der Brenz, in der Provinz von Baden-Württemberg. Hier wird er am 21. Dezember 1981 als Sevket Dirican geboren, sein Künstlername leitet sich von seinem bürgerlichen Vornamen ab. In der Kleinstadt mit 46.000 Einwohnern ist der junge Sevket der einzige Rapper und macht erste musikalische Gehversuche bei der Funk- und Soul-Band Nil. Außerdem beweist er sich in zahlreichen Freestyle-Battles in der Umgebung und nimmt 2003 in Eigenregie die Debüt-EP "Chef-Ket" auf.

Mit Marteria in Berlin

In seiner Heimat ist der HipHop-Fanatiker ein Exot, deswegen zieht es ihn 2005 nach Berlin, in der pulsierenden HipHop-Szene trifft er viele Gleichgesinnte. Darunter den damals noch unbekannten Marteria, mit dem er durch Deutschland tourt. Bis heute sind die beiden gemeinsam unterwegs, und auch auf "Nachtmensch" hört man eine Strophe des deutschen Rapstars. Auf EPs wie "Identitäter" oder dem Debüt-Album "Einerseits Andererseits" entwickelt Chefket seine Reimskills weiter und beweist, dass er nicht nur ein versierter Wortakrobat ist, sondern auch eine breite Themenpalette bedienen kann.


Tanzen, Träumen, Türkei

Die Mischung aus ausgefeilter Technik und gehaltvollen Inhalten verfeinert er auf "Nachtmensch". Das Leben in der Metropole Berlin thematisiert Chefket auf Tracks wie "Tanz", in dem er eine exzessive Partynacht beschreibt. Dabei mischt er humorvolle Wortspiele mit selbstkritischem Blick. Darauf folgt das Stück "Kater", in dem er das leere Gefühl am Tag danach beschreibt. In Stücken wie "Glücklichster Rapper der Welt" oder "Träume" zeigt er seine optimistische Weltsicht, in der nicht das große Geld und Erfolg zum Glück führen, sondern Integrität und Selbstverwirklichung in der Kunst: "Schwarz-weiß-Malerei, ich sehe alles in Farbe, mache was ich liebe und bekomme dafür Gage."

Alltagswitz statt Moralkeule

Das Album ist als fortlaufende Erzählung angelegt, später berichtet er in "Lass gehn" von einem Partyflirt, um in dem darauf folgenden "Carie Me Homeland" festzustellen, dass seine Eroberung eine CIA-Agentin ist. Nachdenkliche Töne schlägt er in "Wir" an, in dem er die deutsch-türkischen Beziehungen beschreibt und für Völkerverständigung wirbt: "Wenn du wissen willst, wie Türken leben, geh’ und frag sie […] Wenn du wissen willst, wie Deutsche leben, geh’ und frag sie, wenn du mit ihnen streitest, nenn’ sie nicht einfach Nazi". In dem Stück warnt er vor Rassismus, aber auch vor Pauschalisierungen: "Jeder weiß, ich bin kein Nazi und du bist kein Terrorist."

Rap, Soul und mehr

"Ich bin Rap, ich bin Soul, ich bin Jazz, Rock & Roll", rappt Chefekt und umschreibt damit den Sound von "Nachtmensch". Beindruckende Rapskills kontrastiert er mit souligen Gesangseinlagen, dazu kommen Beats, die analoge Wärme mit der Experimentierfreude des Jazz und der Direktheit des Rock & Roll mischen. Verantwortlich für diesen Sound ist der Hamburger Farhot, der schon mit Künstlern wie Nneka, Selah Sue und US-Rapper Talib Kweli gearbeitet hat. Er mischt mal hektische Trap-Drums mit saftigen Orgeln oder elektronisches Gefiepe mit rollenden Klaviersamples. "Nachtmensch" verbindet so technisch anspruchsvollen Rap mit Musikalität und Tiefgang mit Popappeal. Mit seinem dritten Album beweist der 33-jährige Chefket, der seit Jahren als vielversprechender Newcomer gehandelt wird, dass er mehr als bereit ist für den ganz großen Erfolg.


Stand: 17.08.2015, 00.00 Uhr