Der Soundtrack von... - Chassol Der Harmonienjäger Chassol

Im "Soundtrack von… - Chassol" spricht das französische Musikgenie über sein aktuelles Album "Big Sun", seine Vorliebe für indische Sounds und welche musikalischen Vorbilder ihn in seiner Kindheit geprägt haben.


Chassol
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Christophe Chassol wurde 1976 in Paris geboren und wuchs im Vorort Meudon auf. Seine Eltern stammen von der karibischen Insel Martinique. Bereits mit vier Jahren besuchte er das Pariser Konservatorium und erlernte Schlagzeug und klassisches Klavier, später auch Jazz.

Bevor das international-erfolgreiche Klangwunder in den Popbereich wechselte und mit Stars wie Sébastien Tellier, Phoenix und Frank Ocean zusammenarbeitete, war Chassol als Musiklehrer, Filmkomponist und Dirigent tätig.

In unserem persönlichen "Soundtrack von… - Chassol" verrät er uns, wie die Arbeit an dem Soundtrack für den Film "Lamb" verlief und welcher Track auf seiner Beerdigung laufen soll.

Aus welcher Zeit sind deine ersten musikalischen Erinnerungen?

Meine ersten musikalischen Erinnerungen, die sind aus meiner Zeit auf dem Konservatorium. Da war ich vier Jahre alt. Wir trommelten da auf Pauken, also auf Schlaginstrumenten, die in Orchestern benutzt werden.

Welcher Komponist fällt dir zu deinen ersten Erinnerungen an Musik ein?


Sergei Sergejewitsch Prokofjew
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links: Sergei Prokofjew

Eine sehr frühe Erinnerung an Musik verbinde ich mit den Liedern, die ich als Kind auf dem Klavier gespielt habe. Das war die "Kindermusik" von Sergej Prokofjew. Das hat meinen Blick auf Musik verändert. Da merkte ich, man kann Sachen spielen, die musikalischen Regeln eigentlich widersprechen. Welche die Dissonanzen enthalten. Ich habe mir die Partitur angeschaut und gedacht: 'Nein, das kann nicht gut klingen.' Doch es klang gut, und zwar, weil es im richtigen Fluss war. Spielt man es gut, dann klingt es gut. Also Prokofjew, Kindermusik.

Welches musikalische Werk hat dein Leben verändert?

"Westside Story", dieses Werk hat mein Leben verändert. Und auch das meiner Schwester. Stravinski hatte seinen Sacre du printemps, Wagner seinen "Walkürenritt", Ravel den "Bolero". Und ich, ich hatte die Westside Story. (lacht) Ein geniales Werk, von dem es nicht nur ein Broadway Musical gab, sondern auch einen Film - und die Choreographie aus diesem Film hat alle modernen HipHop-Videos beeinflusst. Außerdem ist diese Musik sowohl sehr anspruchsvoll als auch sehr einfach. Jeder kann Lieder wie "Amerika" oder "Maria" mitsingen.

Wann hast du Jazz entdeckt?

Ich habe angefangen Jazz zu spielen als ich noch auf dem Konservatorium war. Es war schon schräg zwischen Klassik und Jazz unterwegs zu sein. Ich hatte damals einen coolen Dozenten aus Argentinien, ein junger Typ, 26 Jahre alt. Er hat mir den Jazz wirklich nahegebracht und erläutert. Aber ich habe mich auch alleine damit beschäftigt, in der Mediathek der Stadt Meudon, wo ich aufgewachsen bin. Dort ist mir eine CD besonders aufgefallen. Auf dem Cover war ein Typ mit Stirnband und einem Fender Bass - er sah aus wie ein Punk. Es war Jacob Pastorius. Seine Technik hat mich völlig umgehauen. Was für eine Virtuosität.

Welche Band hast du in deiner Kindheit gehört?

Mit zehn Jahren habe ich The Cure entdeckt. Ich mag aber nur ihre 3 ersten Alben. "Boys Don't Cry", "17 Seconds" und "Three Imaginary Boys". Tolle Harmonien und Akkordfolgen. Und dann auch die Stimme von Robert Smith, absolut einzigartig. Und was für ein Gitarrensound. Ich mag auch die melodiösen Basslines von Simon Gallup. Dadurch habe ich sehr viel gelernt. Das höre ich übrigens heute immer noch.

Wie hast du die Band Phoenix kennengelernt?

Ich hatte nicht so viel mit Leuten aus der Klassik-Szene zu tun, sondern eher mit Leuten aus dem Pop-Bereich. Weil ich viel Musik für Filme und Werbung komponiert und arrangiert habe, war ich meist mit hippen Leuten unterwegs. Eines Tages hat mich ein Freund angerufen und zu einem Vorspielen eingeladen. Da lernte ich auch den Schlagzeuger Lawrence Clais kennen, mit dem ich bis heute oft zusammen auftrete. Wir haben dann beide mit der Band Phoenix zusammengearbeitet. Die Arrangements auf dem Album "Alphabetical" sind von mir, auch das Keyboard. Was für eine tolle Zeit! Wir tourten um die Welt und ich konnte sehr viel über Popmusik lernen. Phoenix haben sich im Laufe ihrer Karriere immer weiterentwickelt. Am Anfang waren es junge Burschen, die mit viel Energie gespielt haben. Dann haben sie alle das Album "Voodoo" von D'Angelo gehört. Auf einmal wollten sie weniger nach Rock klingen und mehr Groove einbauen. So fanden sie ihren eigenen Stil, eine Art sophisticated Pop. Ich mag ihre Akkordfolgen, die klingen richtig frisch. Phoenix sind einfach super Typen.

Und wie hast du Frank Ocean kennengelernt?


Frank Ocean
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Frank Ocean

Frank Ocean hatte mich mehrmals angefragt wegen einer Zusammenarbeit. Aber ich hatte nie Zeit. Irgendwann hat es dann geklappt und er hat mich in die Abbey Road Studios nach London eingeladen. Frank Ocean ist ein klasse Typ, immer auf der Suche nach neuen Sounds. Ich habe ihn gefragt wie er auf mich aufmerksam wurde. Er sagte, der Produzent Diplo hat ihm mein Stück "Two Lines" vorgespielt, sie haben es rauf und runter gehört. Dann wollten sie wissen, wie ich das gemacht habe, und haben gesagt: 'Wir müssen Chassol anrufen.' Auf Frank Oceans kommenden Album habe ich Keyboard und Bass gespielt und gesungen. Ich habe neue Harmonien entwickelt, ganze Songs neu arrangiert, dabei habe ich unter anderem mit drei Moog Synthesizern gearbeitet. Später war ich auch zehn Tage mit ihm in L.A.. Wir waren in dem gleichen Studio, in dem die Beach Boys "Pet Sounds" aufgenommen haben. Das war sehr cool. Ich muss zugeben, ich habe immer noch nicht das erste Album von Frank Ocean gehört. Aber ich werde es bald tun. Seine Stimme hat mich zu Tränen gerührt. Er erinnert mich an Michael Jackson in dem Musical "Der Zauberer von Oz".

Welcher indische Künstler oder welche indische Künstlerin beeindruckt dich besonders?

Die Sängerin MS. Subbulakshmi hat mich umgehauen. Eine sehr berühmte Sängerin für südindische Musik. Ich kann viele ihrer Lieder mitsingen, sie ist wundervoll. Sie stand fast 60 Jahre auf der Bühne und hat oft zusammen mit ihrer Tochter Radha Viswanathan gesungen. Beide singen fromme Lieder über Gott. Songs die äußerst komplex und unvergleichlich sind.

Wie ist dein Album "Indiamore" entstanden?

Für mein Projekt "Indiamore" wollte ich indische Musik mit westlichen Akkorden zusammenbringen. Denn ich höre alles mit meinen westlich geprägten Ohren. Mir geht es nicht darum den Leuten traditionelle indische Musik näher zu bringen, sondern zu zeigen, wie ich indische Musik wahrnehme. Ich bin zuerst auf Drehortsuche dahin geflogen, dann zwei Jahre später, bei der Rückkehr traf ich meine Kontaktleute und habe zwei Woche lang gefilmt. Das hat auch völlig ausgereicht, denn am Ende habe ich nur die Hälfte des Materials benutzt. Indien ist gleichzeitig wunderschön und abstoßend. Du läufst rum, siehst einen einbeinigen Mann in einer Fütze liegen, direkt neben ihm frist ein Schwein irgendeinen Dreck. Dann drehst du dich um, blickst auf den Ganges, schaust auf eine Frau am Ufer, die religiöse Lieder singt. Was für Kontraste! Du triffst sehr liebenswerte Menschen, siehst wunderschöne Dinge. Es ist sehr vielseitig, ich mag das sehr.

Wie sehr hat dich Biguine-Musik von den Antillen beeinflusst?

Mein Vater hatte viele Platten mit Biguine-Musik von den Antillen. Die haben mich auch beeinflusst. Später ist mir aufgefallen, dass ich dieser Musik auch mit Ablehnung begegnet bin. Denn ich bin in Frankreich aufgewachsen, in einem spießigen Vorort, da war ich der einzige von den Antillen. Keiner außer mir konnte mit dieser Musik etwas anfangen. Aber sie steckt in meinen Genen. Der Rhythmus von Biguine ähnelt dem jamaikanischen Ragga, aber die Musik ist insgesamt viel anspruchsvoller. Die Gruppe Malavoi steht für diesen Sound, z.B. mit Songs wie "Marinelle", "Antoinise" oder "La Filo".

Wie ist dein aktuelles Album "Big Sun" entstanden?


Chassol: Big Sun
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Chassol: Big Sun

Das besondere an meinem Projekt "Big Sun" ist der Ort seiner Entstehung, die Insel Martinique. Das ist meine Kultur, die Heimat meiner Eltern. Dort habe ich als Kind all meine Ferien verbracht. Ich liebe die Geräusche, die Gerüche und den Akzent. Ich kenne diese Kultur gut, sie steckt tief in mir, sie ist meine DNA. Wir haben dort gedreht wo ich immer in den Ferien war. Eine wunderbare Erfahrung! Auch für meinen Schlagzeuger Lawrence, er hat dort auch seine Wurzeln. Es war also ein bekanntes Terrain, das wir neu entdeckten.

Was für besondere Momente gab es auf Martinique für dich?

Auf Martinique gab es viele besondere Momente. Wir haben dort (den Sänger) Alex Jean Baptiste gefilmt, er wohnt im letzten Haus der Insel, in dem Ort Grand Riviere, im Norden der Insel. Der Gesang, das Geräusch der Wellen, der Sonnenuntergang. Es war eine Postkartenidylle. Es gab auf Martinique ein Zusammentreffen mit dem Flötisten Mario, den kenne ich seitdem ich klein bin. Durch die Platten von meinem Vater. Mit ihm haben wir eine Szene auf einem Friedhof bei Fort De France gedreht. Es gab wirklich viele intensive Momente auf Martinique.: Den Karneval, bei dem viele Affenmasken trugen, oder die Aufnahmen mit Pipo Gertrude, einem der Sänger der Gruppe Malavoi. Ich habe ihn im alten Haus meiner Eltern interviewt. Meine Eltern hatten das Haus schon vor zehn Jahren verlassen. Auf der Wand in der Küche wuchern jetzt Pflanzen. Es gab viele bewegende Momente.

Wie verlief deine Arbeit zum Lamb-Soundtrack?

Die Arbeit an dem Soundtrack zu "Lamb" war sehr angenehm. Dafür habe ich die Botschaft von Yared Zeleke in Musik übersetzt. Ein Regisseur, der mich sehr berührt hat. "Lamb" ist sein erster Spielfilm. Er ist sehr talentiert, und hat unter anderem zusammen mit Spike Lee studiert. Die Zusammenarbeit war sehr unkompliziert, denn er ist ein Fan von meinen Sound. Yared kam zu mir nach Hause, obwohl ich eigentlich nie die Regisseure zu mir einlade. Wir haben sehr flüssig gearbeitet und viel diskutiert. Dann habe ich direkt vor ihm komponiert. Ich denke viele können sich mit der Hauptfigur aus dem Film identifizieren. Denn es ist ein kleiner Junge, der für seine Ziele kämpfen muss. Und jeder Mensch muss mal in seinem Leben für etwas kämpfen. Die Musik dafür sollte nicht pathetisch klingen, sondern schön und tiefgründig.

Welcher Song soll auf deiner Beerdigung laufen?

Hubert Laws, "What Do You Think Of This World Now". Das ist das schönste Musikstück, dass ich jemals gehört habe und seit 1996 die Musik auf meinem Anrufbeantworter. Hubert Laws ist ein schwarzer Jazz-Flötist aus Texas. Er spielt aber auch genauso gut klassische Musik. Man nennt das "Third Stream" - die dritte Strömung. Dieser Stil wurde von Gunter Schuller entwickelt. Es ist Jazz für große Konzerthallen, eine musikalische Mischung. Das Album zu dem Stück heißt "Morning Star". Auf diesem Stück singt Hubert Laws Schwester, die war damals 16 Jahre alt.


Stand: 30.10.2015, 14.48 Uhr