Der Soundtrack von... - Emicida Emcee Homicide

Emicida, Rapper aus São Paulo, 3,5 Millionen Likes auf Facebook, sein neues Album "Sobre Crianças, Quadris, Pesadelos e Lições de Casa" ist das Beste was in Brasilien 2015 erschienen ist. Im "Soundtrack von… - Emicida" erzählt er über seine Kindheit, seine Liebe für den Samba, Wilson Das Neves, über die Macht der Favelas und von seiner kritischen Beziehung zu der MPB (Música Popular Brasileira).


Emicida
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Der Name Emicida entstand durch die Verschmelzung von dem englischen Wort MC und "homicida", was so viel wie Mörder auf Portugiesisch bedeutet.

Leandro Roque de Oliveira aka Emicida wurde schnell von der Presse als "Jay-Z Brasiliens" gehandelt.

Er ist Geschichtenerzähler, Poet und Botschafter der Straße. Musik hat für ihn immer Hoffnung bedeutet und das will er nun auch an seine Hörer weitergeben. Seit 2008 ist er mit eigenen Mixtapes als Rapper aktiv. 2013 veröffentlichte er sein erstes Album "O Glorioso Retorno de Quem Nunca Esteve Aqui" auf dem er HipHop und heiße traditionelle Samba-Rhythmen verschmolz.

Sein zweites Studioalbum "Sobre Crianças, Quadris, Pesadelos e Lições de Casa", was in diesem Herbst auf seinem eigenen Label Laboratôrio Fantasma erschien, nahm er in Brasilien, Los Angeles, Angola und auf den Kap Verden auf. Brasilianischer Rap trifft auf westafrikanische Kora-Sounds, Kizomba-Rhythmen und Bezüge zur Yoruba-Tradition Nigerias.

Wie wichtig sind dir Bewegung und Tanz auf der Bühne?

Die Bewegung auf der Bühne ist Theatralik. Es handelt sich dabei um eine Kommunikation bei der die Sprachgrenze überwunden wird. Bewegung ist auch eine Art zu Sprechen. Wenn ich auf der Bühne stehe, versuche ich die Menschen mit meinen Bewegungen einzuladen. Ich möchte ihnen zeigen, dass dieser Tanz für alle da ist. Ich glaube, dass die Leute sich auch deswegen annähern und sich mit der Show verbunden fühlen. Gerade weil ich mich so frei fühle auf der Bühne. Und nur so bin ich in der Lage zu meinem Publikum vorzudringen und es zu berühren. Meine größte Anstrengung mit der Musik war es von Anfang an, die Menschen durch ihre Gemeinsamkeiten zusammenzubringen. Ich glaube deswegen überwindet diese Musik auch so viele Hindernisse. Wir wurden bereits eine Millionen Mal wegen der Unterschiede getrennt.

Wer bist du und was bedeutet dir Musik?


Roskilde 2014 - Emicida
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Ich bin Emicida, ein Master of Ceremony aus der Zona Norte in São Paulo. Vielleicht klingt das jetzt voll nach Klischee, aber Musik ist mein Leben.

Wer hat dir zuerst Musik empfohlen?

Das mit der Musik habe ich von zu Hause. Mein Vater war DJ, und meine Mutter schon immer ein großer Musikfan, sie interessierte sich immer mehr für die Texte. Mein Vater hörte sehr viel Musik. Er starb als ich sechs Jahre alt war. Aber meine Mutter hat weiter an der Musik festgehalten. Diese Leidenschaft habe ich also von Haus aus zugeteilt bekommen.

Was ist deine erste schöne Erinnerung an Musik?

Als Kind schaltete meine Mutter in den frühen Morgenstunden immer das Radio an, wir Kinder schliefen noch. Daran erinnere ich mich oft: ich schlief, wachte auf und die Musik lief. Um diese Uhrzeit hörte man die beste Musik im brasilianischen Radio. Also wirklich anspruchsvolle Lieder und nicht nur den Mainstream.

Wie hat das Radio deinen musikalischen Werdegang beeinflusst?

Das Radio war meine Bibliothek für eine lange Zeit in meinem Leben. Ich hatte kein Geld, um Platten zu kaufen also hörte ich alles was im Radio lief. Ich war immer auf der Suche was mir am besten gefiel. Und mit der Zeit konnte ich mir dann auch Platten kaufen und ich habe mich etwas vom Radio entfernt, um mich von den Platten inspirieren zu lassen, die ich mir kaufte.

Welche Platte hat dein Leben verändert?


Racionais MC's "Raio X do Brasil"
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So viele Platten haben mein Leben beeinflusst. Schwierig da ein einziges zu nennen. Aber Racionais MC's "Raio X do Brasil" hat mich stark beeindruckt und Jahre später habe ich mir dann "Sobrivendo No Inferno" gekauft und ich glaube diese beiden Alben der Racionais MC's sind es. Aber auch das Album von Planet Hemp "Os Cães Ladram Mas a Caravana não Pára". Diese letzten beiden Alben haben mir eine sehr wichtige Seite von Musik gezeigt. Und zwar, dass Musik ein lauter Schrei nach Freiheit sein muss.

Welche Platte bringt dich zum Weinen?

Verdammt viele! Martinho Da Vila - das höre ich gerade. Wilson das Neves, Elis Regina, Vinicius de Moraes, Tom Jobim, Quintetto em Branco e Preto. Sie alle schaffen es einfach Emotionen zu transportieren, es scheint als würde ihr Herz das Lied singen - es ist so! Es scheint nicht nur so. Es ist ihr Herz, das in den Songs spricht. Und ich versuche das in meinen Songs ebenfalls.

Welche Platte hörst du, um im Kopf woanders hinzureisen?

Es gibt eine Platte von Wilson Das Neves, die heisst "O Samba é meu dom". Diese Platte ist immer in meinen Top 10, sogar in meinen Top 3! Ich habe ihn überall dabei, auf meinem Mp3-Player, auf meinem Laptop und zu Hause.

Welche Platte hat dich zuletzt begeistert?

Man! (er lacht) Ich bin großer Fan von Wilson Das Neves. Aber es ist die Wahrheit: das letzte Album das mich begeistert hat, ist sein aktuelles Album. Es heisst "Se me chamar - O Sorte". Es ist unglaublich vielfältig. Er flirtet viel mit Jazz und die Arrangements sind sehr schön. Und dennoch ist es Samba. Seine Musik hat sehr viel Klasse und klingt elegant.

Was macht die Favelas musikalisch aus?

Die Favelas sind ein Sammelbecken für Kreativität. Die wichtigsten Persönlichkeiten der brasilianischen Musik könnte man als Favela-Musiker bezeichnen. Zum Beispiel Cartola, Zé Guedes, Moreira da Silva, sogar Pixinguinha. Diese Typen stammen alle aus den Favelas und für mich ist es eine Ehre diese fast schon 100-jährige Tradition mit meiner Musik fortzuführen.

Über die Entstehung der Poesie-Lokale (Saraus) in den Favelas...

Es ist eine Revolution: In den Favelas, wo kein Cent der Regierung landet, nur die Polizei, um Leute zu verprügeln und zu beleidigen - dort entsteht Musik und Poesie. Viele Leute dort wären bereit für den bewaffneten Kampf - zu Recht - und plötzlich machen sie Poesie. So etwas gibt's nur in Brasilien!

Über die sozialen Veränderungen in Brasilien...


Emicida
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Ich glaube, die Menschen in den Favelas träumen heute mehr. Die letzten zehn Jahre unter der Regierung Lulas haben ihren Teil dazu beigetragen. Was aber nicht bedeutet, dass die Gewalt weniger geworden ist, oder es nichts mehr zu ändern gäbe. Wir müssen anerkennen, dass unsere Selbstwertschätzung im Vergleich zu früher um einiges gestiegen ist. Ich kenne genug Leute, die ihre soziale Herkunft verleugnet haben oder sich dafür geschämt haben schwarz zu sein. Meine Generation denkt anders darüber - obwohl Brasilien nach wie vor ein starkes Rassismus-Problem hat. Doch die Selbstwertschätzung ist heute deutlich zu spüren und sie bietet dem Rassismus Paroli, wo sie kann. Vor 15 Jahren hätte das noch sehr radikal geklungen. Aber heute nicht mehr. Gott sei Dank.

Was genau ist MPB (Música Popular Brasileira) für dich?

Der Begriff MPB umfasst längst nicht die ganze Kreativität der brasilianischen Musik. Er schließt viele Dinge wie Rap, Baile Funk oder Pagode aus Bahia aus. Die MPB deckt die weitverbreiteten Geschmäcker der Favelas nicht ab und das schmälert natürlich die Bandbreite von dem was die Menschen als brasilianische Musik wahrnehmen. Vor allem von außerhalb Brasiliens. Wir kämpfen hier dafür, dass die Menschen draußen unsere Musik frei von Stereotypen empfangen.

Gib uns doch mal ein Beispiel...

Zum Beispiel haben der Rap und der Funk aus São Paulo viel dafür getan. Die Musik in Brasilien ist ständig im Wandel. Sie schöpft aus unterschiedlichen Quellen. Und auf einmal bedient sie sich am angolanischen Kuduro und bringt etwas Eigenes hervor. Genau so war es mit dem Miami Bass aus den USA, und heraus kam dieser typische Tamborzão im Baile Funk aus Rio. Die Rap-Szene hier hat auch einiges zur Vermischung der brasilianischen Musik und äußeren Einflüssen beigetragen. Leider wird der Begriff MPB all dem nicht gerecht.

Was ist das Thema deiner neuen Platte?

Ich habe mich beim neuen Album auf die Spuren unserer Vorfahren begeben. Ich habe es in Angola, auf den Kap Verden, und in Brasilien aufgenommen. Ein paar Dinge sogar in Los Angeles. Aber eigentlich haben wir uns auf diese Suche nach den afrikanischen Wurzeln gemacht. Die Musik und Kultur Angolas und der Kap Verden haben die brasilianische Musik sehr beeinflusst. Wir wollten uns Afrika annähern und sind schließlich doch in Brasilien gelandet. Das Album thematisiert das moderne Brasilien und spricht über seine Dialoge, über Wörter und Poesie.

Welchen Bezug hast du zu Afrika?

Ich bin Brasilianer, Brasilianer afrikanischer Abstammung. Seit dem mir klar war, dass diese Tatsache für meine eigene Selbstwahrnehmung als Mensch wichtig ist, habe ich mich auf die Suche nach meiner "Afrikanität" begeben. Ich habe viele Dinge herausgefunden und eigentlich sehr viel über mich und mein Land erfahren. Nachdem ich mich auf dieses Thema eingelassen habe, war es mein Traum mal nach Afrika zu gehen. Und mein Album spiegelt diese Reise wider: ich war in Madagaskar, Angola und auf den Kap Verden.

Erzähl uns was über Laboratorio Fantasma...

Laboratôrio Fantasma, so heißt unser Label, Produktionsschmiede und Konzertagentur. Es ist ein Kollektiv das die HipHop-Kultur verehrt, und vor allem seine politische, soziale und künstlerische Bedeutung schätzt/anerkennt. Laboratôrio ist eine revolutionäre Truppe! (er lacht)

Wie sieht die Zukunft der Musik aus?

Nicht nur Musikschaffende und Künstler, sondern die ganze Gesellschaft sollte dieser Tage mehr Geduld aufbringen und mehr Geduld ausüben. Wir werden von allen Seiten mit Informationen überhäuft, und das führt dazu, dass wir ständig unter Strom stehen. Vor allem wenn es um Produktion und Veröffentlichungen geht. Leider geht es vielen mehr um das Geld als um die Musik. Es wichtig zu verstehen was auf dem Markt passiert, wichtiger aber zu wissen an das zu glauben, was man musikalisch macht. Das Leben der YouTube-Generation gleicht einem Drahtseilakt. Nicht viele schaffen es die Risiken zu erkennen, die mit vorübergehendem Erfolg verknüpft sind. Ich sehe, dass immer mehr Leute mit Musik in Berührung kommen, aber ich wünsche mir mehr Tiefgang in der Musik und nicht bloß diesen oberflächlichen Konsum. Diese Leute hören heutzutage Musik als wäre es ein Wettbewerb in dem es darum geht wer mehr hört, a là 'ich habe die komplette Diskografie von Beethoven, James Brown, Racionais, Jay-Z und den Rolling Stones, aber ich habe noch nie alles gehört.' Solche Leute gibt es viele. Es geht mehr um's haben als um das Hören, das ist traurig.

Welcher Song soll auf deiner Beerdigung laufen?


CD-Cover mit Fela Kuti
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Ich werde niemals sterben. (er lacht) Dieses Lied von Fela Kuti "I Never Go Die" muss laufen.


Stand: 09.12.2015, 16.00 Uhr



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