Der Soundtrack von... - Hiatus Kaiyote "Multidimensionaler Gangster Shit"

Die Band aus Australien lädt im "Soundtrack von… - Hiatus Kaiyote" in ihren bewusstseinserweiternden, musikalischen Kosmos ein. In ihrem ganz persönlichen Soundtrack erzählen die Shootingstars des Future Souls von ihren ersten Platten, von Mutter Natur und wie die Zukunft der Musik aussehen könnte.


Hiatus Kaiyote
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Hiatus Kaiyote besteht aus den vier Musikern Nai Palm (Vocals und E-Gitarre), Paul Bender (E-Bass), Perrin Moss (Drums) und Simon Mavin (Keyboard). Die vier stammen aus der australischen Ostküsten-Metropole Melbourne und sind momentan der letzte Schrei im Underground Soul. Entdeckt von Taylor McFerrin, auserkoren von DJ-Ikone Gilles Peterson, angehimmelt von Questlove, Pharrell Williams und Erykah Badu.

Ihren Sound in eine Schublade zu stecken, ist schier unmöglich: Ethno-Elemente treffen auf die hauchige Jazzstimme von Frontfrau Nai Palm. Polyrhythmik verschmilzt mit eigenwilligen Synthie-Sounds. Naturelemente wie z.B. Tiergeräusche werden ganz selbstverständlich in einige Songs auf dem aktuellen Album "Choose Your Weapon" integriert.

"Nakamarra" war der Song, der die vier musikalischen Avantgardisten berühmt gemacht hat. Der Track mit Stargast Q-Tip verbreitete sich auf Twitter wie ein Lauffeuer und wurde 2014 bei den Grammys für die "Beste R&B Performance" nominiert.

Außerdem sprechen die futuristischen Neo-Soulisten im "Sountrack von… - Hiatus Kaiyote" von Rassismus in der australischen Musikindustrie, von Platten, die sie in letzter Zeit beeindruckt haben, und wofür ihr Albumtitel "Choose Your Weapon" steht.

Wer seid ihr und was bedeutet euch Musik?

Paul Bender: Wir sind Hiatus Kaiyote. Musik ist für uns Einiges. Sie ist eine abstrakte Form der Kunst, bei der die Menschen die Energie der Schwingungen benutzen, um das Bewusstsein der Zuhörer zu verändern.

Simon Mavin: Komposition und Kreativität haben keine Grenzen. Man kann jede Richtung einschlagen. Sobald man sich darauf festnagelt, wie man seine Musik schreibt, wird es nichts Neues mehr sein. Es ist relativ einfach: Wenn etwas gut ist, dann ist es gut. Egal ob es jetzt ein Funk-Song ist, oder ein R&B-Song oder was auch immer.

Welche Platten habt ihr euch zuerst gekauft?

Simon Mavin: Die erste Platte, die ich mir gekauft haben, war Salt 'n' Pepa auf Kassette, mit "Let's Talk About Sex".

Paul Bender: Oh ja, der Song ist zu einer echt aufregenden Zeit rausgekommen. Da steckte ich mitten in der Pubertät. Meine erste Platte war "Smash" von The Offspring. Da waren sie noch gut, das war so richtig schöner Punk damals.

Und was war deine erste Platte Nai?


2Pac
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Nai Palm: Meine erste Platte war "2Pacalypse Now" von 2Pac. Meine Mutter ist von 2Pac besessen, was ziemlich seltsam ist. Als ich ihn gehört hab, war ich noch fast zu jung.

Wer hat euch als erstes Musik näher gebracht?

Paul Bender: Mein Dad mochte ganz cooles Zeug. Jimi Hendrix, Bob Dylan und Cream, viele der britischen Klassiker aus den 60er und 70er Jahren. Es begann alles, als ich anfing Bass zu spielen. Da habe ich direkt unterschiedliche Musik gehört. Der Schlüsselmoment war, als mir mein Bruder "Roots" von Sepultura gezeigt hat, also super heftigen brasilianischen Metal. Ich bin durchgedreht, weil ich nie etwas Vergleichbares gehört hatte, es war echt intensiv. Als würde man mit einem Panzer aus einem Gebäude brettern. Das hat mein Verständnis von Musik, wovon sie handeln und was sie bewirken kann, grundlegend verändert.

Fließt durch eure Musik eine Art "animal spirit"?

Nai Palm: Ja, aber da gibt es auch viele andere Dinge. Ein Song wurde inspiriert von Hayao Miyazakis Film "Laputa". Ein anderer könnte von einem Synthesizer inspiriert worden sein, den Simon gekauft hat, und der echt cool klingt. Es gibt also auch viele Motive, die nicht unbedingt mit Natur verbunden sind.

Worum geht es in eurem Song "The Lung" von eurem aktuellen Album "Choose Your Weapon"?

Nai Palm: Der Song "The Lung" behandelt das Experiment der NASA, bei dem sie diese leuchtende Flüssigkeit in deine Lungen spritzen. Das wird hauptsächlich bei Astronauten und Tiefseetauchern gemacht, damit ihre Lungen einen höheren Druck aushalten, denke ich. Das ist also eine sehr unnatürliche Sache. Unsere Inspiration kommt von überall her. Es ist so, als würden wir über das Universum sprechen.

Wo und wie habt ihr Tiere in eure Aufnahmen integriert?

Nai Palm: Bei dem Song "Making Friends With Studio Owl” war eine Eule draußen vor unserem Studiofenster bzw. vor dem Haus, wo Bender und Simon und ein Haufen anderer Musiker leben. Ich hab versucht, sie einzusperren und mit ihr zu singen, und Bender hat das aufgenommen. Auf dem Album ist auch mein Freund Charlie Parker. Er ist ein Papagei. Bei den Aufnahmen habe ich ihn auf meinem Arm gehabt, weil er emotional manipulativ ist und die ganze Zeit auf Menschen sitzen will.

Paul Bender: Und Benny, die Katze meiner Eltern, war dabei. Sie macht so traurige Geräusche. Wie ein aufgebrachtes Kind oder ein weinendes Baby. Wir haben das auf einen Vocoder aufgenommen. Und gedacht: 'Wow, eine durch den Vocoder gejagte Katze!' Und die Hündin Lina ist auf dem Album, aber wir mussten sie wieder rausschneiden, weil sie in unpassenden Momenten gebellt hat, zum Beispiel wenn keiner gespielt hat.


Australien Landschaft
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Nai Palm: Abgesehen davon haben wir häufig mit offenem Fenster gespielt. Man hört also viele verschiedene Vögel von draußen. Im Grunde genommen erschaffen wir ja akustische Landschaften. Mal sind da Unterwasser-Elemente, dann wieder denkst du, du stehst auf einem Berg im Tibet. Es ist cool, dort auch echte Lebewesen zu haben, die mit mir singen.

Welche Beziehung habt ihr zur Natur?

Nai Palm: Wir werden von allem beeinflusst. Nicht nur von der Natur, sondern einfach von unserer Umgebung, egal ob sie jetzt industriell ist oder einfach nur schön mitten in der Wüste oder in den Bergen. Dass die Natur in unserer Musik immer mitschwingt, kommt daher, dass es uns bereichert, in der Natur zu sein. Ich empfinde eine tiefe Verbundenheit mit wild lebenden Tieren. Für mich ist das eine der ursprünglichsten Interaktionen, die man auf der Erde haben kann.

Welche Platte hat euch zuletzt begeistert?

Nai Palm: Ich mag das Album von Mariem Hassan. Sie ist in der Westsahara geboren und macht saharischen Blues, aber sie benutzt in ihrer Musik auch Samples von politischen Reden. Das ist sehr rau/roh und schön. Bei so einer Musik würdest du die Samples nicht erwarten, aber sie hat das auf eine sehr schöne Weise getan.

Simon, welche Platte hat dich zuletzt begeistert?

Simon Mavin: Ich höre gerade das neue Album von Kendrick Lamar, "To Pimp a Butterfly" viel, was echt abgefahren schön und bahnbrechend für den HipHop ist. Ich suche ständig nach einem neuen Song, den ich noch mehr mag. Das ändert sich jeden Tag, aber der Track "Momma" ist ziemlich cool, finde ich.

Erlebt ihr den aktuell vielkritisierten Rassismus in der australischen Musikindustrie auch selbst?

Paul Bender: Wir sind weiß, wir sind also absolut privilegiert. Wir erleben Rassismus nicht am eigenen Leib. Ich denke aber, dass Australien einige tiefe Probleme mit Rassismus hat, mit denen das Land noch nicht fertig geworden ist. Hier, in Europa, vor allem in Berlin, gibt es überall unübersehbare Mahnmale, die an die Geschichte erinnern; die Menschen haben hier verinnerlicht, was schiefgegangen ist, sie leben damit, akzeptieren es und versuchen es hinter sich zu lassen. In Australien gibt es eine Kultur des Leugnens, vor allem, was das Leid der Ureinwohner und die Geburt Australiens als weiße und britische Kolonie betrifft. Keiner will sich damit befassen. Es ist ein so multikulturelles Land und trotzdem stehen die Ureinwohner auf der tiefsten sozialen Stufe. Die Kultur, Identität und auch Aufstände werden häufig unterdrückt.

Nai Palm: Männlich, weiß, Rockmusik - so sieht die australische Identität aus. Wenn ein Künstler dem nicht entspricht/eine andere Herkunft hat, kann er nur erfolgreich sein, wenn er etwas komplett Neues macht. HipHop in Australien ist nicht im Geringsten wie HipHop in den USA oder so wie er im Rest der Welt weiterentwickelt wurde. Es verändert sich gerade, aber diese wunderschöne Multikulturalität in Australien ist immer noch Underground, sie wird in der Musikindustrie nicht gewürdigt. Simon hat zum Beispiel in Latin Bands gespielt und ich Cumbia in kolumbianischen Bands. Viele verschiedene Geschmäcker inspirieren die Musikszene, vor allem in Melbourne. Um es aber im Mainstream zu schaffen, musst du wie weißes Toastbrot, einfach und leicht zu verdauen sein. Aber wir freuen uns, dass REMI langsam Anerkennung bekommt.

Welche Vielfalt geht da verloren?

Nai Palm: Wenn Leute gefragt werden, sagen sie, in Australien gäbe es keine eigene Soulszene. Dabei gab es während des Vietnamkriegs, in den späten 60ern, eine Band, die The Sapphires, eine indigene/einheimische Version der Supremes. Man bekommt davon nur nichts mit, weil so etwas nicht öffentlich zelebriert wird, denke ich. In der Musikszene gibt es Rassismus und Sexismus, aber dank des Internets und dadurch, dass wir direkt miteinander interagieren können, geht das langsam, aber sicher zurück.

Paul Bender: Melbourne hat aber eine wirklich gute Community, einen großen Dialog.

Simon Mavin: Ich denke, das Problem existiert weltweit. Die Musikszene in Australien ist eine der besten der Welt, weil wir dort so viel Vielfalt haben, vor allem in Melbourne.

Ist euer "Choose Your Weapon"-Album ein Kampf für oder gegen etwas?


Hiatus Kaiyote: "Choose Your Weapon"
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Hiatus Kaiyote: "Choose Your Weapon"

Paul Bender: "Choose Your Weapon" heißt: 'Entscheide dich.' Viele unterschiedliche Dinge können eine Waffe sein. Das Album kann als eine tiefgründige Frage verstanden werden, welche Waffen das sind. Aber es ist auch ein Verweis auf Videospiele, in denen du deine Figur wählst. Das ist irgendwie platt, aber es hängt ganz von dir ab, was du darin siehst. Alles kann als Waffe oder als Kampf verstanden werden, zum Beispiel der Kampf, den du morgens im Bett führst, um aus dem Bett zu kommen. Da könnte die Waffe Eigenmotivation und Selbstkontrolle sein.

Nai Palm: Oder ein Wecker! Ob du es als Kampf verstehst oder nicht, ist eine Reaktion darauf, dass weltweit unsere Vorstellungskraft gehemmt wird. Als Künstler ist es unsere Rolle, sie bei unseren Zuhörern anzuregen und auch uns selbst kreativ zu fordern, damit wir, wenn wir uns mitteilen, genau an der Stelle stehen, wo wir unseren Intellekt über die Fantasie anregen und uns darauf konzentrieren.

Paul Bender: Ich denke, dass auch Musik eine Art Waffe ist. Jeder hat seine eigenen negativen Kräfte in sich, physisch und psychisch. Jeder trägt eine gewisse Negativität in sich, mit der er auszukommen versucht. Da ist Musik ein wundervolles Instrument, um das zu überwinden. Wenn du in einem Raum voller Leute stehst, das Konzert einer Band miterlebst und es dein ganzes Wesen zum Vibrieren bringt, dann wird das eine Wirkung auf dich haben. Egal welche Art von Musik da gespielt wurde. Sie soll Menschen vereinen und über eine höhere Ebene hinausgehen. Das gilt auch für düstere, harte Musik, nach dem Motto: Ich geh zu diesem üblen Gig und werde deprimiert sein, aber stattdessen hast du eine gute Zeit und fühlst dich mit anderen dank dieses ziemlich übel klingenden Zeugs verbunden. Es ist eine positive Erfahrung, weil etwas reflektiert wurde, was reflektiert werden musste.

Wie sieht die Zukunft der Musik aus?

Paul Bender: Ich denke, dass Musik in Zukunft vielfältiger sein wird. Der Mainstream wird vielleicht noch schlechter werden, aber auf jeden Fall seine Bedeutung verlieren, weil heute jeder Zugang zu allem hat, was eine Herausforderung für uns ist, weil keiner mehr Platten kauft. Aber jeder kann all diese Dinge erfahren und das hören, was er gut findet und nicht, was ihm aufgezwungen und immer und immer wieder im Radio gespielt wird. Kendrick Lamars Album zum Beispiel ist echt verrückt und ein gewaltiges Konzeptalbum, mit der Geschichte der schwarzen Musik, mit Jazz und politischen Sachen. Die Leute verschlingen es, weil sie nicht dumm sind. Nicht jeder will bloß denselben Trap-Beat und dieselben vier Akkorde hören. Ich denke, die Zukunft der Musik wird gerade immer vielfältiger. Das Einzige, was mir Sorgen macht, ist, das es zu teuer werden könnte, auf Tour zu gehen. Ich fürchte mich vor einer Zeit, in der jeder Gig von einer Person am Laptop gegeben wird. Das wäre wirklich traurig, einfach weil es stinklangweilig wäre.


Stand: 13.11.2015, 11.56 Uhr



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