Teil 2: Der Soundtrack von... - Samy Ben Redjeb Der Pop Archäologe

Samy Ben Redjeb: Labelchef, DJ, Abendteurer, ein Mann mit Leidenschaft und ein unermüdlicher Globe Trotter. Seit über 15 Jahren weltweit unterwegs auf der Suche nach vergessenen Klangpreziosen. Sein Label Analog Africa, lange Zeit eine wahre Fundgrube für die unterschiedlichsten Arten von Afro Funk, glänzt mittlerweile auch durch ausgefallene Veröffentlichungen mit Musik aus Lateinamerika.


Analog Africa Team - Teaser Soundtrack
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Im zweiten Teil des Soundtracks erzählt er uns, weshalb gerade die Musikgeschichte der 70er Jahre in Afrika ihn so begeistert und wie diese die heutige Musiklandschaft maßgeblich beeinflusst.

Außerdem geht es um ein Konzert der Band Poets Of Rhythm. "Meiner Meinung nach ist es die beste Band, die diesen Ethiosound spielen kann", schwärmt er …

Doch nicht nur in Sachen afrikanischer Musik ist er ein echter Fachmann, er kennt sich auch musikalisch bestens in Südamerika aus – besonders Musik die aus Kolumbien und Brasilien kommt. 2014 erschien die Compilation Siriá mit magischen Songs von Mestre Cupijó, der eine einheizende Mixtur aus traditionellen Siriá-Elementen, gepaart mit Mambo, Merengue und Cumbia, kreierte.

Wie würdest Du den Sound deines Labels beschreiben?


Siriá: Mestre Cupijó e seu Ritmo
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Siriá: Mestre Cupijó e seu Ritmo

Die Musik die ich rausbringe, die ist auch für junge Leute. Sie hat so einen Kick, einen guten Bass, gute Drums und Percussions. Alles was einen Groove ausmacht. Ob das heute gespielt wird oder vor 30 Jahren, das hat den gleichen Groove und deswegen gefällt das jungen Leute.

Weshalb sammelst du Vinyl?

Ich sehe mich nicht als Sammler. Ich kaufe Musik, die mir gefällt. Ein Sammler würde zum Beispiel aus einer Reihe Teil 1 bis 10 sammeln. Er würde seine Oma verkaufen um Nummer neun zu bekommen. Wenn mir Nummer neun nicht gefällt, dann ist es egal ob sie da ist oder nicht. Das ist der Unterschied. Ich tausche und verkaufe auch alles was mir nicht besonders gefällt. Ich habe kein Problem damit. Das sind die Krankheiten von einem Sammler, die ich nicht habe. Für mich geht es nur um die Musik und ich sammel hauptsächlich Musik, die mir gefällt oder die was Besonderes hat. Der Grund warum ich Schallplatten gesucht habe ist, weil man die Musik nicht in einem anderen Format findet. Ich habe kein Problem mit CDs solange der Sound gut ist. Aber von dem was in Afrika produziert worden ist, bekommt man vielleicht 1% auf CD. Und die restlichen 99 % findest du nur auf Schallplatten und deswegen suche ich dieses Format.

Was hast du bei deinen Reisen in Afrika an Musik entdeckt?

Ich habe entdeckt, dass die Musik in Afrika viel entwickelter, viel weiter war als der Westen gedacht hat. Für mich persönlich (weiter) als die Musik des Westens. Weil es rhythmisch viel weiter entwickelt gewesen ist. Harmonisch nicht so. Aber das ist mir persönlich nicht so wichtig. Ich brauche Groove, ich brauche Rhythmus und da ist in Afrika der Schwerpunkt. Westliche Musik ist halt mehr auf Harmonien basiert. Die Sounds waren auch entwickelter als man damals angenommen hat. Die Musik aus Afrika wurde oft als sehr trival dargestellt. Es ist aber nicht so. Die Musik Afrikas war schon sehr experimentierfreudig, sehr futuristisch.

In den letzten Jahren wurde viel afrikanische Musik aus den 60ern und 70ern wiederveröffentlicht. Wie hat das die Musiklandschaft beeinflusst?

Wir haben Musik aus der Vergangenheit herausgebracht, die aber so futuristisch war, oder so genial war, dass es Bands von heute beeinflusst hat. Die Musik aus Afrika die jetzt (bei uns) rauskommt, haben wir damals im Westen nicht gehört. In den letzten Jahren ist soviel gute Musik entdeckt worden, die junge Leute jetzt hören können. Sie studieren das und versuchen das zu kopieren, zum Beispiel Mulatu Astatke aus Äthiopien hat so viele junge Bands beeinflusst. So viele Junge Bands. Vor allem in der Groove Szene. Es gibt viele kleinere Bands die keiner kennt, die sehr gute Musik machen und auch Bands, die einen Fuß im Mainstream haben. Hätten wir diese Musik nicht ausgegraben, würden diese Bands diesen Sound nicht so spielen, wie wie sie ihn heutzutage spielen.

Gibt es ein Konzert, dass du nie vergessen wirst?


Poets of Rhythm - Cover
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Ein Konzert was mich sehr beeindruckt hat, war das Konzert von Poets Of Rhythm aus München. Das ist eine Band, die den Funk 1994 wiederbelebt hat. Sie haben eine Platte aufgenommen, die das Funkmovement wiederbelebt hat. Vor sieben Jahren haben sie angefangen mit äthiopischer Musik zu experimentieren. Meiner Meinung nach ist es die beste Band, die diesen Ethiosound spielen kann. So wie in den 70er Jahren damals. Wir haben sie nach Frankfurt eingeladen und sie haben einen instrumentales Konzert gegeben. Poets Of Rhythm mit den Weissenfeld Brüdern. Das war eines der beeindruckendsten Konzerte, was ich gesehen habe.

Auf deinem Blog schreibst du auch über kaum bekannte Musiker aus Afrika, wie zum Beispiel Charles Rodriguez aus Benin. Was war das für ein Mann?

Charles Rodriguez war ein Aguda. Ein Künstler mit brasilianischen Vorfahren. Das sind Sklaven aus Benin, die in Brasilien reich geworden sind, die ihre eigene Freiheit gekauft haben, und zurück nach Benin gegangen sind und sich in Ouidah angesiedelt haben. Sie haben die brasilianische Tradition nach Beningebracht. Rodriguez ist auch eine Familie, die in Benin sehr mächtig ist. Charles Rodriguez, hat glaub ich für eine Telefongesellschaft gearbeitet. Er war ein Hobbymusiker der zwei Platten aufgenommen hat. Zwei Singles, vier Lieder. Zwei davon waren Afrobeats mit sehr verrückten Keyboards. Es war nicht äußerst besonders, was er gespielt hat, aber es geht um den psychedelischen Sound, den er mit diesen Orgeln gemacht hat. Damals hatten sie kein Geld, um die Fender Rhodes oder die Hammond Orgeln zu kaufen. Das waren meistens Farfisas aus Italien. Aber sie hatten gute Ohren und deswegen haben sie auch mit billigen Instrumenten einen guten Sound hinbekommen. Es gibt Länder die viel mehr Geld haben, mit besseren Keyboards, aber wo schlechtere Sounds entwickelt werden.

Das Orchestre Poly-Rythmo de Cotonou ist die wichtigste Band auf deinem Label. Die Band zeichnet sich durch einen sehr abwechslungsreichen Sound und durch perfektes Zusammenspiel der Mitglieder aus. Wie haben die es geschafft so unfassbar gut zu werden?

Der Gründer von Orchestre Polyrhythmo, Melome Clement, der leider letztes Jahr gestorben ist. Er war ein sehr ruhiger Mensch, ein freundlicher Mensch, hatte jedoch eine ganz klare Vision. Er hat gesagt es ist, wie in einer Fußballmannschaft - das Team ist wichtig. Und wenn ein Spieler gerade besser ist, dann muss der andere auf der Bank sitzen. Und er hatte einen Kern von Musikern in seiner Band. Wenn er aber einen Musiker gefunden hat der besser war, als der, der gerade in seiner Band war, hat er den Musiker geholt und hat den Musiker ersetzt. Für den anderen Musiker hat er aber versucht eine Aufgabe zu finden. Der erste Schlagzeuger von Polyrhythmo konnte eine Sprache, die die anderen nicht konnten. Das war Mina. Das wird im Osten von Benin gesprochen. Deswegen hat er den Schlagzeuger ausgetauscht und ihn ans Mikrofon geschickt und ihn Lieder in Mina singen lassen. Er hat immer die Band verbessert.

In den 70ern in Afrika war es nicht ganz einfach Musik aufzunehmen. Es gab nicht so viele technische Möglichkeiten. Doch die Menschen in Afrika waren sehr erfinderisch. Kannst du uns dafür ein Beispiel geben?

Was halt sehr oft in Afrika damals passiert ist: es gab nicht immer Studios oder nicht immer Produzenten, die das Geld hatten um Studios zu bezahlen. In Benin, Togo, Burkina Faso, Niger sowieso, haben sehr sehr oft Journalisten von einer Radiostation als Tontechniker gewirkt. Das heißt der Journalist der eigentlich mit Politikern Interviews aufnimmt. Der hatte oft ein Nagra-Aufnahmegerät und kannte auch viele Musiker. Dann hat ein Produzent gesagt: "Jungs können wir eine Aufnahme machen?" – "Ja Klar". – "Ja dann ruf mal den Kinifo Michel, den habe ich gestern mit nem Nagra gesehen". Dann kommt halt der Kinifo Michel mit seinem Nagra und platziert seine zwei Mikrofone. Ok wir brauchen mehr Bass. Dann kommt der Verstärker näher. Der Gitarrist geht weiter nach hinten, der Perkussionist der ist zu laut, der geht da hinten in den Raum, und so haben sie den Mix gemacht. Und sie haben unglaubliche Aufnahmen gemacht.

Wie war deine erste Reise auf die Kap Verden?


Summerstage 2014 - Hy Brasil
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Analog Africa DJ-Team bei der Funkhaus Europa Summerstage 2014

Ich war das erste Mal 1994 auf den Kap Verden. Ich weiß nicht, ob ich sehr jung und sehr dumm war, aber ich hatte das Gefühl, dass alles extrem teuer war. Meine Mutter musste sehr viel Geld ausgeben, um uns hier die drei Wochen zu ermöglichen. Deswegen hatte ich eine Antipathie gegen diese Insel. Damals habe ich die Musik von einem Künstler entdeckt, der Musiker Bitori, ein Akkordeonist. Und diese Musik hat mich seitdem verfolgt. Das istMusik die gehört seitdem zu meinem Leben. Das Hauptinstrument ist das Akkordeon, die Musikrichtung die er spielt ist Funana. Das ist eine Musik, die ich als Waffe während meiner DJ Shows benutze. Wenn die Tanzfläche nicht mehr so kickt dann spielst du Bitori und plötzlich ist sie wieder voll - das ist wie Feuer. Und alle Leute kommen zu dir. Wir haben auch den Namen geändert von dem Künstler, weil alle Leute sind halt zurückgekommen auf dem Computer wollten sehen was wir gerade spielen. Vor allem weil wir mit Serato auflegen. Wir haben das Babalu genannt. Pedo, mein DJ Partner der fragt mich immer: "Jetzt ist es Zeit für Babalou." Und wir haben immer Bitori gespielt, das ist so als hättest du ein Pulverfass und schmeißt ein Feuer hinein.

Du arbeitest an einem Sampler mit Musik von den Kap Verden. Wie wird dieser klingen?

Die Musik die mich interessiert für eine Compilation ist Musik aus den 70er Jahren. Da gab es viel weniger Akkordeon, das war Funana aber mit Orgel. Sie haben Funana modernisiert und haben die traditionelle Musik auf die modernen Instrumente übertragen. Akkordeon wird auf der Orgel gespielt und der Ferro (Ferrinho) auf dem Schlagzeug. So hat sich Funana modernisiert. In den 70er Jahren. Das ist es was ich hier suche.

Kannst du uns den Sound der 60er Jahre in Ghana beschreiben?

Ghana nach der Unabhängigkeit war hauptsächlich Highlife. Was eigentlich eine Mischung aus afrikanischen Rhythmen und Brass Bands ist. Der Highlife war damals sehr orchestriert. Hauptsächlich bläserdominierend. Mit der Zeit ist es Guitar Highlife geworden, wo die Bläser immer weniger geworden sind und Gitarren übernommen haben. Aber diese zwei Stile sind definiert. Es gab den Brass Band Highlife und den Guitar Highlife. Diese Bands haben auch experimentiert mit Genres aus dem Ausland. Mit Soul und Funk. Beide haben das gemacht. Erstmal die Brass Bands - ET Mensah hat auch sowas gemacht - Soul mit Highlife gemischt, und die Guitarbands haben das auch danach gemacht. Der Guitar Highlife war populär- mehr für die Massen. Und der Brass Band Highlife war mehr für die Ballrooms. Für die High Society. Da gab es halt diesen Clash. Es gab auch zwei Richtungen vom orchestrierten Highlife. Den geschulten Highlife, die Leute kamen von Militärakademien und dann gabs die Brass Bands die aus den ländlichen Gebieten kamen. Die haben sich das selbst beigebracht. Das war nicht geschult, aber dafür viel rauer und erdiger.

Was ist das Konzept deines Samplers "Afrobeat Airways"?


Analog Africa - Afrobeat Airways Cover
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Der Sampler ist letztes Jahr rausgekommen. Das ist eine Zusammenstellung von Musik aus Ghana aus den 70er Jahren. Von 1974 bis 1983. Aber von 1983 hab ich nur ein einziges Lied genommen. Das war ein Lied was aufgenommen wurde und nie kommerzialisiert worden ist. Das war ein Afrobeat, der von dem Sohn von Ebo Taylor komponiert wurde. Der heißt Ebo Taylor Junior und war der Keyboarder seines Vaters. Der Vater spielt auf dem Lied Gitarre. Und sonst ist das ganze Material was hier drauf ist, aus den 70er Jahren. Viele Songs davon wurden nie ein Hit. In Ghana nicht, und sie sind nie außerhalb von Ghana gehört worden. Das ist alles Zeug was sogar für Ghana sehr obskur ist.

Darauf hört man auch Uppers International. Was war das für eine Band?

Uppers International war eine Band, die kam aus der Upper Region. Das ist der höchste Staat Ghanas, der ganz im Norden ist - total islamisch. Das war die Hauptband, gesponsort sozusagen vom Staat. Der Staat wollte die Kultur fördern und hat eine Superband gegründet. Sie haben Upper sucht den Superstar gemacht. Sie haben aus allen Leuten die sie gehört haben eine Band zusammengesetzt und das sind die Uppers International geworden. Die Band hat eine einzige Platte aufgenommen und zwei Singles glaube ich.

Welche Musik soll auf deiner Beerdigung laufen?

Ich habe an Amara Toure gedacht, weil es ein Künstler ist, der in meinem Leben viel Platz einnimmt. Aber auch weil es eine eindrucksvolle Musik ist, die ich in meinem Leben gehört habe. Die Musik ist bitter und süß gleichzeitig. Was eine große Stärke von afrikanischen Musikern ist. Sie können in einem Lied traurig und glücklich gleichzeitig sein. Und das können nicht sehr viele Leute. Aber Menschen aus Afrika - vor allem in den 70er Jahren - wussten wie man das macht. Und es gibt keine stärkere Mischung als die. Ein Lied happy zu spielen, aber halt eine Melodie da drauf zu singen, die in die entgegengesetzte Richtung geht und eine gewisse Melancholie reinbringt. Am besten wäre, wenn sich eine Party entwickelt. Bei der sich die Leute sagen der Typ hat gute Musik gespielt, der hat die Leute glücklich gemacht und deswegen war es ein cooles Leben.


Stand: 30.01.2015, 13.05 Uhr