Süpertunes - Anouar Berham | Annique Instrumentale Erinnerungen & Breitwand-Pop

Von Anna-Bianca Krause

Der tunesische Oud-Meister hat auf seinem neuen Album die aufwühlenden Gefühle während und nach der Jasmin-Revolution verarbeitet, und Annique zeigt auf ihrem Debutalbum eine neue Facette britischer Popmusik.


Anouar Brahem -  Souvenance
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Anouar Brahem - Souvenance

Anouar Brahem: Souvenance (ECM)

Er bewegt sich schon seit vielen Jahren zwischen den Kulturen und Stilen, zwischen Orient und Okzident, zwischen Jazz, Klassik, orientalischer Musik und mediterranen Traditionen. Anouar Brahem ist ein Grenzgänger, der Musik macht, die sich einer Kategorisierung immer wieder entzieht. Fünf Jahre hatte er kein Album mehr gemacht und man hatte kaum etwas von ihm gehört, bis er am 10. Juli 2014 im Amphitheater von Karthago auf der Bühne stand, um sein neues Werk aufzuführen. Über 7500 vor allem junge Menschen erlebten dort die Live-Premiere von "Souvenance", einer Komposition, die an den Beginn des Arabischen Frühlings in Tunesien erinnerte.

Tunis at Dawn

Die Musik ist meditativ, transparent, sie ruht in sich, doch ab und an tauchen in dem dahin fließenden Sound aufwühlende Momente auf. Man meint, Sirenen in der Ferne zu hören, Spannung liegt in der Luft, eine gewisse Beunruhigung. Der Auslöser dieser Musik hat Anouar Brahem genauso aufgewühlt wie alle anderen Tunesier. Dort hat schließlich im Dezember 2010 der Arabische Frühling angefangen und Brahem schreibt im Booklet: "Außergewöhnliche Ereignisse erschütterten plötzlich das alltägliche Leben von Millionen von Menschen, wir wurden ins Ungewisse geschleudert". Und der Musiker und Komponist konnte erst einmal überhaupt keine Musik mehr schreiben. Es dauerte ein paar Jahre, bis er das Erlebte verarbeiten konnte. Man braucht eigentlich nur das Coverfoto zu sehen, dann weiß man, um was es geht: Man sieht die Szene einer Straßenschlacht in Tunis.

Klassik 2.0?

"Souvennace" ist ein reines Instrumental-Album und deshalb typisch für Anouar Brahem. Neu ist, dass er erstmalig ein Streich-Orchester dazu geholt hat. Komplizen seiner Oud sind drei virtuose Musiker an Bassklarinette, Piano und Bass. Wie soll man diese Musik nennen? Klassik 2.0, die sich im Orient und im Okzident bedient? Dabei fallen allerdings die intensiven Gefühle unter den Tisch, die Brahem bewusst oder unbewusst in seine Stücke hat einfließen lassen. Sie heißen "Ashen Sky", "Improbable Day", später "Like a Dream" oder "Nouvelle Vague". Es ist wie Vorher - Nachher. Die Lage in Tunesien hat sich weitgehend stabilisiert, das strahlt auch die Musik von Anouar Brahem aus. "Souvenance" heißt das Album, das bedeutet Erinnerung/Andenken. Und auch wenn es immer mal wieder eine sehr starke Spannung aufbaut, ist es doch hauptsächlich auf eine harmonische Art hypnotisierend.


Annique - Heads up
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Annique - Heads up

Annique: Heads up (Asphalt Tango Records)

Sie hat Soul, sie hat Sinnlichkeit, sie hat eine große Stimme und man wundert sich, warum man erst jetzt auf den Namen Annique stößt. Nach einer klassischen Gesangsausbildung war die junge Frau aus Essex als Backgroundsängerin aktiv, bei den Gorillaz, The Streets oder wie sie sagt: In so ziemlich allen Zusammenhängen zwischen Drum'n Bass, Soul, Reggae, Electro oder Dub. "Heads up" ist ihr Debutalbum und eine überraschende Pop-Platte. Man hört, dass Anniques Vorbilder die Großen vergangener Zeiten sind, darunter Ella Fitzgerald, Nat King Cole, Bill Withers oder Peggy Lee. Aber man hört auch, dass sie dem britischen Pop eine eigene, sehr weltoffene Note gibt.

Der Komplize

Sie kannten sich schon lange, bewegten sich aber auf so weit voneinander entfernten musikalischen Planeten, dass anfangs eine Zusammenarbeit undenkbar schien. Der israelische Multi-Instrumentalist, Soundtrack-Komponist und Querkopf Koby Israelite arbeitete an seiner eigenen CD, als er bei einem Stück das Gefühl hatte: Da fehlt etwas! Also lud er Annique ins Studio ein und war anschließend total verblüfft über ihr Talent, ihren Sinn für Ästhetik und ihre Stimme. Es blieb nicht bei dieser einen Aufnahme-Session, weitere folgten, und am Ende waren 16 Songs für das Album fertig. Alle aufgenommen und eingespielt in Israelites Home-Studio - von ihm höchstpersönlich, denn der Musiker spielt Gitarre, Akkordeon, Schlagzeug und so einige andere Instrumente.

Zwei Welten

Annique und Koby Israelite, das ist wie Tag und Nacht. Sie mit der klassischen Ausbildung im Rücken; er hat zuerst Punk mit hebräischen Texten gemacht und dann in der ersten israelischen Speed-Metal-Band gespielt. Seit vielen Jahren aber macht Israelite wilde Instrumentalmusik, in der zum Beispiel Balkansounds auf Country treffen oder Polka auf Ska. Diese Lust, mit Elementen aus allen möglichen Kulturen und Stilen zu spielen, hat er auch eingebracht: Tango, Folk, Chanson, Pop, Soul, Filmmusik, anything goes - aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Dann hat Annique immer eingegriffen und gesagt: Das ist zu verrückt, behalte das für dein Solo-Projekt. Sie, mit diesem untrüglichen Gespür für eleganten Pop, und er, mit seinem weltweiten Musik-Know-How - das ist die perfekte Kombination.


Stand: 29.01.2015, 18.00 Uhr