Süpertunes - Chassol | Roots Manuva Soundvisionen und Bass'n'Verb

Von Anna-Bianca Krause

Der Soundtrack-Komponist und Klang-Reisende Chassol hat seine audio-visuelle Trilogie mit einem Album komplettiert, für das er Fieldrecordings auf Martinque gemacht hat. Das sechste Album von Roots Manuva, dem Godfather of British HipHop, hat tornadoähnliche Wirkung.


Chassol - "Big Sun"
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Chassol - "Big Sun"

Chassol: "Big Sun" (Tricatel)

Dieses Album ist ein echtes Abenteuer. Als Christoph Chassol - er nennt sich nur Chassol - Ende September im WDR-Fernsehen einen Liveauftritt in der Sendung "Anke hat Zeit" hatte, war das sicher einer der ungewöhnlichsten Musikmomente im Deutschen Fernsehen. Nicht nur Anke Engelke war fasziniert davon, wie der Pianist und sein Begleiter am Schlagzeug zu einem Video spielten, auf dem ein karibischer Mann eine Melodie pfiff. Es war, als wären alle zusammen in einem Raum, dabei lagen Monate und Tausende von Kilometer zwischen den beiden Ebenen.

Augmented Reality

Der Musiker und Komponist hat diese Arbeitsmethode eher zufällig erfunden. Immer, wenn er sich auf Youtube Filme angeschaut hat, klimperte er nebenher auf dem Klavier zu den Sounds der Videos. Daraus entstand das, was Chassol "Ultrascore" oder "Harmonisierung" nennt, er synchronisiert sein Spiel auf den Klaviertasten mit den Bildern, Stimmen, Klängen, die er an einem anderen Ort und zu einer anderen Zeit aufgenommen hat, synchronisiert Wirklichkeit und Phantasie. Es ist eine sehr persönliche Form von Augmented Reality, von erweiterter Realität. Das Ergebnis ist sehr sinnlich, die Musik hat Groove und nichts mit ethnologischen Studien zu tun. Ein Mann spricht auf Kreolisch über Masken, die auf Martinique im Karneval getragen werden und Chassol lässt die seine Sätze tanzen.

Handwerker oder Genie?

Chassol saß bereits mit vier Jahren am Schlagzeug, mit sechs am Klavier, sein Geld verdiente er schon als junger Mann mit Werbeclips und Musik für Dokumentar- und Fernsehfilmen. Später komponierte er Kino-Soundtracks, oft für Horrorfilme, da begriff er, wie wichtig Sounds für Bilder sind. Danach kam eine Pop-Phase, er arbeitete mit Sebastien Tellier, Keren Ann oder Phoenix. Frank Ocean war so von seiner Kreativität begeistert, dass er ein Jahr hinter ihm her war, weil er ihn unbedingt für sein neues Album haben wollte. Die Liste von Chassols Arbeiten ist lang und es steht auch eine Rede von Barrack Obama darauf, die er so bearbeitete, dass der Präsident sie singt. Gerade arbeitet er am Soundtrack zum neuen Jean-Rochefort-Film. Der 43-Jährige sagt von sich: "Ich bin ein Handwerker" - aber er ist ein Genie!

Back To The Roots

"Big Sun" ist der dritte Teil einer Trilogie dieser besonderen Serie, für Teil 1 war Chassol in New Orleans, für Teil 2 in Indien und für Teil 3 ist er back to the roots. Seine Eltern waren aus Martinique, beide kamen vor zehn Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben, das Album ist auch eine Hommage an sie und seine Herkunft. Er hat auf der Insel Gespräche, Vögel, Gedichte, Songs von einheimischen Musikern aufgenommen, auf Muscheln gespielte und gepfiffene Melodien, danach dann alles verlangsamt oder beschleunigt, in Stücke zerlegt, mit Loops gearbeitet, dazu gespielt - bis es so homogen, aber auch aufregend klingt, wie auf dem Album und in den dazugehörenden Videos. Beides funktioniert jedoch auch ohne das andere.

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Roots Manuva -"Bleeds"
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Roots Manuva -"Bleeds"

Roots Manuva: "Bleeds" (Big Dada)

Man kann dem Mann viele Titel geben, er ist eine unglaublich wichtige Figur der britischen Musikszene, hat von Dizzee Rascal bis zu den Arctic Monkeys unzählige Künstler und Bands beeinflusst: Rodney Smith, Künstlername Roots Manuva. Er ist der Godfather of British HipHop, eine der prägendsten Figuren der Black Music in Großbritannien und wenn er anfängt zu sprechen, zu singen, zu rappen, dann kommt er wie ein Gewitter über seine Zuhörer.

Stimme erheben für die, die keine haben

"Hard Bastards" - mit einer Kombination aus dramatischer Musik und fast aggressiver Stimme steigt man ein in das sechste Album von Roots Manuva und eigentlich ist gleich klar, dass etwas ganz Besonderes auf einen zukommt. Der Wortschwall ist ein Angriff auf unsere Gesellschaft, er hat selbst gesagt: Ich prangere die Welt an, in der wir uns alle wie ein Haufen Drecksäcke verhalten. Seine brummigen, fast lethargischen Raps mit diesem Bariton-Timbre sind umgeben von einem Breitwand-Sound, das ist intelligente Musik, die auf den Bauch zielt und mit der Roots Manuva denjenigen eine Stimme geben will, die keine haben.

Jesus & I

Der Londoner mit den jamaikanischen Wurzeln hat schon mit dem Who is Who der britischen Popmusik gearbeitet, mit Coldcut, Jamie Cullum, Leftfield oder den Gorillaz, er ist aber vor allem ein begnadeter Songwriter. Seine Raps sind manchmal wie Gebete, was sicher auch damit zu tun, dass sein Vater nicht nur Schneider, sondern auch Laienprediger war. Roots Manuva ist zwar nicht religiös, aber über sein Album - das "Bleeds" heißt, also bluten sagt er: "Ich bin wie Jesus bereit für meine Kunst zu bluten!" Der Mann ist eben auch ein Exzentriker und ein Show-Man. Sein Credo: Spiritualität ist wie sampeln: Alles was hier ist, war schon immer hier, das einzig Neue ist die Art, wie wir damit umgehen.

Ein Mann des Wortes

In seinen Songs mischt Roots Manuva HipHop, Reggae, Techno oder Funk mit Gothic-Atmosphären, mit Gospel-Chören, mit symphonischen Refrains und manchmal hört man Streicher oder Piano. "Bleeds" ist musikalisch gesehen ein ganz großer Wurf und HipHop-untypisch. Das liegt natürlich auch an den Leuten, die er sich dazu geholt hat, z.B. den Dub-Pionier Adrian Sherwood, Sample-Genie und Produzent Four Tet oder Machine Drum. Das Ergebnis erinnert verdammt oft an TripHop. Roots Manuva selbst sagt "Ich mache Bass'n Verb" - also Bässe und Verben. Dazu kann man Tanzen und Nachdenken zeitgleich.


Stand: 29.10.2015, 16.00 Uhr



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