Süpertunes - Nicolas Godin | Bixiga 70 Godin-Variationen & Afrobeat, der nach vorne geht

Von Christian Werthschulte

Air-Mitglied Nicolas Godin hat eine Platte mit Variationen von Johann Sebastian Bach aufgenommen. Das brasilianische Afrobeat-Projekt Bixiga 70 erneuert den Afrobeat mit Einflüssen aus Jazz und Cumbia.


Cover: Nicolas Godin - "Contrepoint"
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Cover: Nicolas Godin - "Contrepoint"

Nicolas Godin: Contrepoint (Warner)

Wer die Musik des Popduos Air kennt, dürfte vom ersten Soloalbum von Air-Mitglied Nicolas Godin überrascht sein. Anstatt perfekter Popsongs, die eine ätherische Leichtigkeit versprühen, sind alle Songs auf "Contrepoint" von Johann Sebastian Bach, dem strengen Großmeister des Kontrapunkts, inspiriert. Er habe einen Dokumentarfilm über die Bach-Aufnahmen des kanadischen Pianisten Glenn Gould gesehen, das sei eine Inspiration für seine erste Soloplatte gewesen.

Bach über die Stränge schlagen lassen

Sein Projekt Air pausiert gerade, sein Mitstreiter Jean-Benoît Dunckel wandelt auf Solo- und Soundtrackpfaden, also brauchte Godin neue Mitstreiter für seine erste Soloveröffentlichung. Er fand sie unter anderem in dem Dichter Alessandro Bariccho ("Seide") und dem neuseeländischen Gitarristen Connan Mockasin, dessen psychedelische Variante von Yachtrock die Klangfarbe von "Contrepoint" entscheidend geprägt hat. Godin und seine Mitmusiker adaptieren immer wieder Fragmente von Bach-Stücken, die sie dann über die Stränge schlagen lassen. Manche Stücke beginnen mit einem Synthesizer, dann folgen Streicher und Gitarren, bevor sich alles in einer Jazz-Improvisation auflöst.

Komplexe Leichtigkeit

"Contrepoint" mag ein Konzeptalbum sein, aber es zeigt trotzdem die einlullende, hart erarbeitete Leichtigkeit der Alben von Air. Auf "Elfe Man" sorgt ein mazedonischer Chor für eine ätherisch-nonchalante Atmosphäre, in der die einzelnen Instrumentalmelodien einander ablösen. Genau diese Mischung macht "Contrepoint" so interessant - es gibt wirklich viel zu entdecken, aber das Album verliert nie eine gewisse Verspieltheit. Und auch wenn das Pendel eher in Richtung Komplexität ausschlägt, findet man hier die komplexe Leichtigkeit, die auch schon die Alben von Air auszeichnete.

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Cover: Bixiga 70 - "III"
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Cover: Bixiga 70 - "III"

Bixiga 70: III (Glitterbeat)

Bixiga 70 aus São Paulo machen Musik, die man im ersten Moment nicht mit ihrer Heimat assoziieren möchte. Sie spielen Afrobeat: trockene Drums, funky Bass, um sich kreisende Gitarren. Aber bei den Bläsern zeigt sich der Einfluss brasilianischer Popmusik: Sie sind von den großen Orchestern aus den 70ern inspiriert, womit sich auch gleich ein weiteres Geheimnis aufklärt: Die "70" in Bixiga 70 steht für ihr Lieblingsjahrzehnt und ihren Lieblingsmusiker: Fela Kuti. Dessen legendäre Begleitband hieß ja Africa 70.

Der Sound und die Stadt

Und damit könnten Bixiga 70 eine dieser Afrobeat-Revival-Bands sein, die man mittlerweile in jeder mittleren Großstadt findet - zumindest wenn sie es nicht hinkriegen würden, ihre spezifische Großstadt in die Musik einfließen zu lassen. Die Band kommt aus Bixiga, einem multikulturellen, eher alternativen Stadtteil von São Paulo mit vielen Kreativen und viel Kultur. Das färbt auch auf Bixiga 70 ab - sozial und musikalisch. Die Band war sehr kritisch gegenüber der Vergabe von WM und Olympia nach Brasilien und hat sich auch an den Protesten dagegen beteiligt. Afrobeat hat in São Paulo eine Tradition unter kritischen Musikern, auch die Rapper Emicida und Criolo haben schon Afrobeat-Stücke veröffentlicht.

Afrobeat plus X

Bixiga 70 reagieren aber noch auf eine andere Weise auf etwas, was sie umgibt: die Musik. Auf "III" hört man Reggae, Jazz, Cumbia, manchmal schleicht sich sogar Malinké-Musik aus Guinea aus ihren Songs heraus. In gewisser Weise ist das eine Fortsetzung des ursprünglichen Afrobeat-Gedankens mit anderen Mitteln. Der Original-Afrobeat brachte damals den Funk mit afrikanischer Musik zusammen. Heute ist Afrobeat selbst ein ausformulierter Stil geworden, der sich mit anderen Stilen verbinden muss, um weiter interessant zu sein. Und da sind Bixiga 70 vorne mit dabei.


Stand: 18.09.2015, 10.15 Uhr