Süpertunes - Tryo | Sherwood & Pinch Lagerfeuer-Reggae & Clubmusik fürs Wohnzimmer

Von Steen Thorsson

Die französische Band Tryo veröffentlicht ihr siebtes Studioalbum "Né Quelque Part". Chansons und Pop werden darauf zu Folk-Reggae. Und auf "Late Night Endless" gibt es ein Generationstreffen britischer Clubmusiker: Dubpionier Adrien Sherwood trifft auf Pinch.


Cover des Albums "Né Quelque Part" der französischen Band Tryo
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Cover von "Né Quelque Part"

Tryo: Né Quelque part (Sony Music)

Die Band wurde gerade international bekannt mit ihrem Song "Charlie", ein Tribute-Song für die Opfer und Angehörige der Attentate in Paris. Damit haben Tryo spontan reagiert, wenige Tage nach den Ereignissen erschien das Musikvideo, in dem die ermordeten Karikaturisten von dem Satiremagazin "Charlie Hebdo" geehrt werden. Der Song hat es aber nicht auf das Album "Né Quelque Part" geschafft.

Es ist das siebte Studioalbum der französischen Band. Dafür haben sich Tryo etwas Besonderes ausgedacht: Sie covern Lieder bekannter französischer Musiker wie zum Beispiel "L'Opportuniste" von Chansonnier Jacques Dutronc. Das Original des Songs ist aus dem Jahr 1968. Es ist ein Kind der Zeit, eine Kritik, wie man dem Titel schon entnehmen kann, an Opportunisten und angepasstem Verhalten.

Lagerfeuer-Reggae mit Gesellschaftskritik

Tryo machen seit Ende der 90er eine Art Fusion aus Folk und Reggae mit gesellschaftskritischen Texten. Man könnte auch sagen: Lagerfeuer-Reggae mit Öko-Hymnen und leichter Politsatire. Sie haben sich in den vergangenen Songs immer zu aktuellen politischen Themen geäußert. Das ist ein Markenzeichen der Band. Sie heißen Tryo, sind aber ein Quartett. Und in Frankreich ist die Band mittlerweile wirklich ziemlich beliebt.

Coveralbum als Denkeschön

Das Album ist eine Hommage vor allem an französische Chansonniers und Popmusiker. Tryo bedankt sich damit bei den Künstlern, die sie in ihrer Laufbahn inspiriert und begleitet haben. "La Corrida" ist so ein Song, von Francis Cabrel, ein Stück gegen Stierkämpfe. Neben alten Chansons werden auch Popsongs gecovert wie zum Beispiel vom bekannten französischen Rocker Hubert-Félix Thiéfaine oder "Le Petit Train" von dem beliebten Musikerpaar Les Rita Mitsouko.

Hommage an Chansonniers und Popmusiker

Die Originale stammen alle von Franzosen, außer "On The Road Again", die Country-Pop-Hymne von Willie Nelson. Das Motto der Beat- und danach auch der 68er-Generation. Und genau das ist der Spirit von Tryo: Alles, was ihnen in die Finger kommt, würzen sie mit ihrem typischen Akustik-Sound, dazu Einsprengsel aus Orient, Latin und Swing.

In Frankreich, wo man diese Songs kennt, und gerade bei ihren Fans kommt das sicherlich gut an. Tryo machen aus den Klassikern nette Folk-Reggae-Stücke zum mitnicken. Die Stücke klingen immer ein bisschen nach Manu Chao. Auf "Né Quelque Part" tritt die politische Haltung zu aktuellen Themen etwas in den Hintergrund, dafür schafft die Band es, französische Klassiker noch mal im Tryo-Stil aufleben zu lassen. Eine gelungene Hommage!

Sherwood & Pinch: Late Night Endless (On U Sound)


Cover des Albums "Late Night Endless" von Sherman & Pinch
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Cover des Albums "Late Night Endless"

Generationentreffen britischer Dubmusiker

Fans der Dubmusik aufgepasst! Legende und Wunderkind der Szene haben sich zusammengetant: Dubpionier Adrien Sherwood und der jungen Dubstep Produzent Pinch. Ein Generationentreffen der Meister, wenn es um britische Clubmusik geht. Getroffen haben sie sich bei einem Auftritt in dem Londoner Club Fabric. Dass sie auf der gleichen Welle Namens "Dub" reiten, war beiden kein Geheimnis: Ein Treffen wurder vereinbart, dann ging es schon bald ins Studio - "Late Night Endless" ist nun das Ergebnis.

Musikalisches Dreamteam wie Vater und Sohn

Adrien Sherwood ist 57 Jahre alt. Er hat der jamaikanische Musik namens Dub - instrumentaler Reggae mit Effekten aus den 70ern - in Großbritannien eine zweite Heimat gegeben. Sherwoods musikalische Sozialisation liegt zwischen Punk, Reggae und HipHop und dem Londoner Stadtteil Brixton mit seiner riesigen karibischen Community. Er hat als Produzent in den 80ern die Szene stark geprägt, etwa mit seinem Label On U Sound. Und hat schon Remixe für Depeche Mode oder Sinéad O'Connor gemacht.

Der junge Robert Ellis alias Pinch, Jahrgang 1980, könnte sein Sohn sein. Er hat schon als Teenager Jungle, Drum'n'Bass und TripHop für sich entdeckt. Er kommt aus Bristol - schon immer eine britische Kreativschmiede, von dort kommen beispielsweise die TripHop-Pioniere Massive Attack und Portishead. Ellis gehört zur neuen Dubstep Generation, die auch karibische und afrikanische Sounds in den Dubstep bringen.

Messerscharfe Snares und verstörende Synthesizer-Sounds

Das Ergebnis: "Late Night Endless" ist ein ziemlich bunter Dub-Mix mit elektronischen Klängen aus dem Soundsystem-Universum, wie Drum'n'Bass, Reggae und Jungle. In dem Song "Music Killer Dub" hört man Stimmfetzen von Musiklegende Lee "Scratch" Perry, zerschnitten von messerscharfen Snares und verstörenden Synthesizer-Sounds.

Dazu kommen viele Songs und Stellen auf dem Album, wo es ruhiger wird. Dafür steht zum Beispiel der Song "Wild Birds". Hier tauchen zwischen siencefictionmäßig anmutenden Ambientsounds auch mal leise Streicher und die Töne von sanft angespielten Klaviernoten auf. Die Musik passt zum Albumtitel "Late Night Endless": Mit diesem Album auf den Ohren könnte man sicher besonders gut durch Londons neblige, dunkle Nacht in einem Doppeldecker brausen.

Wer jetzt ein richtiges Club-Album erwartet hat, wo die Beats wie Feuerwerk an Sylvester durch die Luft fliegen, macht sich allerdings falsche Hoffnungen: Es ist auch kein Novum der Dubmusik entstanden. Eher eine sehr abstrakte, experimentelle und verspielte Arbeit. Man könnte sagen: Clubmusik für das Wohnzimmer, oder Dubmusik für Fortgeschrittene.


Stand: 12.02.2015, 21.00 Uhr