100 Jahre Edith Piaf - Biografie: Hymne an das Leben
Vor 100 Jahren wurde Edith Piaf in Paris geboren. Eine zierliche Person mit gewaltiger Stimme und noch größerer Persönlichkeit: Sie war leidenschaftlich, lebenshungrig und exzentrisch. Schriftsteller und Musikwissenschaftler Jens Rosteck hat die erste deutschsprachige Biografie geschrieben.
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Biografie über Edith Piaf: "Hymne and das Leben" (Buchcover)
Audio
- Audio: Anne Lorenz im Gespräch mit Jens Rosteck (08:44 min.) Ohne Sendungsnamen
Über Edith Piaf wurde schon viel geschrieben. Warum wollten Sie eine weitere Biografie schreiben?
Zum einen gab es noch keine Biografie mit einem deutschsprachigen Autor. Und es gab merkwürdigerweise noch nie eine, die sich mit der Musik, den Performances und den Liedern selbst auseinandergesetzt hat. Und das konnte ich gar nicht glauben. Deswegen habe ich auch 14 kleine Miniaturen in mein Buch eingestreut, in denen ich mich mit den Chansons von Edith Piaf auseinandersetze. Ich erzähle deren Geschichte, wie eine kleine Mini-Biografie der Lieder. Dann schaue ich mir auch genau an, was Edith Piaf auf der Bühne gemacht hat, wie ihre Performances und ihre Interaktion mit dem Publikum ausgesehen haben. Das wurde bis jetzt immer nur am Rande gemacht. Und das ist auch eine Art Buch im Buch. Dann kommt hinzu, dass viele Biografien über Edith Piaf einfach anekdotischer Natur sind. Da haben Leute aus Piafs Umfeld einfach ihre Lebenserinnerungen aufgeschrieben und auch vieles beschönigt. Sie hat selbst in ihren Memoiren, die sie zwei Journalisten einfach diktiert hat, viel Dichtung der Wahrheit hinzugefügt. Es gab also wenig brauchbares Material, ich musste erstmal an richtige Quellen rankommen. Es gab meiner Meinung nach einfach noch Bedarf für nicht eine weitere, sondern eine grundlegende Biografie.
Es gibt sehr viele Mythen um die Sängerin. Haben sie eine Lieblingslegende von Edith Piaf?
Da gibt es einige, Die schönste ist natürlich immer ihre eigene Geschichte von der Geburt. Sie hat immer behauptet, dass das ein unheimlich dramatischer Umstand war: Mitten im Ersten Weltkrieg auf einem Trottoir in Paris, also einer öffentlichen Stehtoilette. Die Erzählung dahinter: ihr Ursprung liegt auf den Straßen von Paris. Sie wurde aber eigentlich ganz normal in einem Krankenhaus geboren. Ein anderer Mythos: sie hat schon ganz jung eine Tochter gehabt, die sie aufgrund tragischer Umstände sehr früh verloren hat. Um das Geld für die Beerdigung zu besorgen, hat sie sich dann angeblich als Straßenmädchen einem Freier angedient. Er soll dann auf die Dienstleistung verzichtet haben, ihr aber ganz viel Geld gegeben haben, als er gehört hat, für welch trauriges Ereignis das Geld gebraucht wird. Aber beides sind Legenden, und das hat sie auch ausgiebig ausgeschmückt und gedichtet. Das macht es aber auch sehr faszinierend, sich so mit ihr auseinanderzusetzen.
Wie haben Sie es geschafft, Mythos und Realität auseinanderzuhalten?
An bestimmten Stellen in meinem Buch habe ich einfach noch mal mehrere Versionen der gleichen Geschichte erzählt. Um einfach zu zeigen, was alles an Bandbreite da ist. Ich habe dann immer versucht, die richtige Fassung rauszubekommen. Manchmal habe ich das aber auch so stehen lassen. Zum Beispiel über ihre Kindheit gibt es ganz wenige Aufzeichnungen. Sie ist mit ihrem Vater jahrelang über das Land gezogen - als freie Akrobatin, Straßensängerin und Zirkusartistin und war wirklich sehr jung. Weil es da keine Dokumente gibt, muss man sich eben damit zufrieden geben, was Zeitgenossen aufgeschrieben haben. In anderen Lebensphasen konnte man natürlich viel kritischer schauen. Da hatte ich dann einfach eine andere Quellenlage. Ich habe Briefe gefunden von Menschen, mit denen Edith Piaf jahrelang Korrespondenzen geführt hat und die bis jetzt gar nicht erschienen sind. Da konnte man teilweise die Fakten viel besser überprüfen. Aber gerade dieses Nebeneinander macht es so spannend.
Es heißt immer wieder, dass die Piaf keine angenehme Person gewesen sei - launisch, herrisch. Wie war Edith Piaf?
Das ist alles Teil ihrer Persönlichkeit. Da muss man ein bisschen weiter zurückgehen in ihrer Geschichte. Sie hatte wirklich eine ziemlich schwere Kindheit. Sie hat unter ihren Schausteller-Eltern keine wirkliche Erziehung genossen. Ihre Mutter musste auf der Straße Geld verdienen, ihr Vater war im Krieg, und sie wurde von ihrer Großmutter aufgezogen und sehr vernachlässigt. Piaf wurde schon als kleines Kind sehr oft sich selbst überlassen. Dann kamen diese Jahre, wo sie in einem Bordell groß wurde, das ihre Großmutter väterlicherseits geführt hat. Da hatte sie dann anstatt einer richtigen Mutter sehr viele Ersatzmütter und wurde mit Zuneigung überschwemmt. Dann kam die Phase, wo sie mit ihrem Vater auf der Straße gesungen hat. Er ist ziemlich ruppig mit ihr umgegangen – aber hatte sie auch trotzdem irgendwie lieb . Diese unterschiedlichen Erfahrungen und dann auch noch dieser Überlebenskampf aus den ersten Jahrzehnten – das war kein normales Aufwachsen in bürgerlichen Konstellationen.
Wie hat sich das auf ihre Beziehungen gerade zu Männern ausgewirkt?
Sie hatte dadurch ganz andere Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft. Sie hatte nur kurzzeitige Affären mit Männern. Ähnlich wie sie es bei sich selbst erlebt hat. So hat sie große Stars selbst mit aufgebaut, zum Beispiel Yves Montand oder Charles Aznavour, das sind alles Entdeckungen von ihr gewesen. Mit denen hatte sie eine kurze Affäre und dann hat sie gemerkt, diese Jungen können mittlerweile auf eigenen Füßen stehen, sind mittlerweile gute Künstler geworden. Dann hat sie denen auch gleich den Laufpass gegeben. Damit diese dann auch wieder frei waren, um auf eine ganz andere Art zu leben. Das haben viele nicht verstanden. Das ist die eine Facette, andererseits war sie auch ein ganz zerbrechlicher und fragiler Mensch. Schmarotzer und Parasiten gingen bei ihr deswegen auch ein und aus. Sie haben sich an ihren Status gehalten, ihr auch viel Geld weggenommen und ihren Reichtum verprasst. Dann hat sie auch gleichzeitig Clochards Geld zukommen lassen, damit sie versorgt waren. Also es gibt bei ihr immer wieder diese Impulse von Solidarität und dann gibt es wieder sehr despotische Züge. Aber sie war natürlich auch ihr eben lang auf der Suche nach der einen großen Liebe. Davon hat sie auch nur eine gefunden - den Boxer Marcel Cerdand. Mit ihm hatte sie eine sehr stürmische und kurze Liebesgeschichte. Die ist leider sehr tragisch geendet – durch einen Flugzeugabsturz, durch den der Boxer gestorben ist. Also all diese Elemente spielen natürlich in ihre Persönlichkeit mit rein. Gleichzeitig war sie aber auch ein witziger Mensch, eine Entertainerin, hatte immer gerne Menschen um sich. Auch wenn in den Chansons immer eher die tragische und deprimierende Seite an ihr überwiegender ist.
Alkohol, Drogen, Affären – wie hat sie es eigentlich geschafft, nebenbei noch ein Star zu sein?
Sie war auf jeden Fall eine sehr disziplinierte Person und eine leistungsbezogene Künstlerin, die wirklich alles ihrem Bühnenleben untergeordnet hat. Sie hat unzählige Auftritte pro Jahr absolviert –auch wenn sie von ihrer physischen Konstitution eigentlich gar nicht mehr auf der Bühne stehen konnte. Sie hatte einfach diese Eigenschaft, die ich in meinem Buch Stehaufweibchen-Qualität genannt habe. Sie konnte sich aus den schlimmsten Situationen und Tragödien immer wieder befreien. Das hat sie gemacht, indem sie immer wieder gesungen hat und aufgetreten ist. Sie hatte auch entsetzliche Entziehungskuren, die sie über sich ergehen lassen musste, war morphiumabhängig und hatte einie Arthrose und dadurch auch viele Schmerzen. Aber die Konzerte haben ihr immer unheimlich viel Energie gegeben. Da kommunizierte sie mit ihrem Publikum, das waren Leute, die sie sehen wollten, die sie bewundert haben. Und diese Kommunikation, in der sie den Leuten etwas entgegengeschleudert hat und ihr die Leute wieder etwas zurückgegeben haben, das war wie eine Art Ritual, da hat sie sich die Energie wiedergeholt. Manchmal haben die Ärzte sie sogar einfach nur noch auf die Bühne vor das Mikrofon gestellt, weil sie sich gar nicht mehr bewegen konnte. Aber in dem Moment, wo sie dann wieder angefangen hat zu singen, war diese ganze Energie, diese Urgewalt wieder da.
Stand: 18.12.2015, 15.00 Uhr
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