5Planeten Feature - SIM São Paulo Bem-Vindo

Von Francis Gay

Zum dritten Mal hat Anfang Dezember 2015 in Brasilien die São Paulo Music Week (SIM São Paulo), eine der wichtigsten Musikmessen Lateinamerikas, stattgefunden. Diesmal mit über 1100 Teilnehmern, Workshops, Konzerten, Konferenzen und sonstigen Debatten. Funkhaus Europa Reporter Francis Gay war dabei.


Bixiga 70
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Bahnbrechend: Bixiga 70 aus São Paulo.

Brasilien geht es schlecht. Die Wirtschaft ist im freien Fall, das Land erlebt gerade die größte Bergbaukatastrophe seiner Geschichte, gegen die korrupten Politiker und Industriebossen wird jeden Tag landesweit demonstriert, andere schreckliche Plagen heißen mehr denn je Rassismus und Machismus. Umso engagierter wirkten auf der SIM São Paulo Künstler, Manager, Labelchefs und sonstige Festivals- und Klubs Bossen. 3 Tage lange ging es um Netzwerke innerhalb Lateinamerikas, um neue Trends, um die Exportmöglichkeiten nach Europa und natürlich auch darum neue Talente live auf der Bühne zu erleben.

Bixiga 70 Video Live in Sao Paulo (01:03 Min.) Bixiga 70

Live in Sao Paulo

Fabiana Batistela, Direktorin der Musikmesse


Fabiana Batistela
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Fabiana Batistela

Bei der Gründung von SIM SP im Jahr 2013 wussten wir nicht was passieren würde. Das war eine Premiere. Immerhin kamen 400 Leute. Letztes Jahr waren es bereits 800 und nun haben sich etwa 1100 Musikprofis registrieren lassen. São Paulo ist eine strategische Stadt in Lateinamerika. Die Musiklandschaft hat sich inzwischen stark verändert und es gibt mittlerweile viele SIM-Unterstützer, z.B. die hiesige und auch die französische Regierung. Das Interesse der Musikprofis ist größer geworden, die Leute mögen die Konferenzen, es tut sich wirklich was.

Fioti von Laboratorio Fantasma Video Interview mit Fioti von Laboratorio Fantasma (03:47 Min.) Wie alles begann

Interview mit Fioti von Laboratorio Fantasma

Wie hat eure Geschichte begonnen?

Fioti: Ich habe damals bei McDonalds gearbeitet und mein Bruder Emicida nahm bereits an den Freestyle-Wettbewerben teil. Es kam dann der Moment, wo wir uns dann organisieren mussten. Also beschlossen wir unser eigenes Label zu gründen, denn hier in Brasilien verstehen die meisten Labels und Vertriebe nichts von der Arbeit mit Rap-Musik. Also mussten wir ein eigenes Geschäftsmodell entwickeln um die Karriere von Emicida zu lenken. So ist unser Label Laboratôrio Fantasma vor sechs Jahren entstanden.


Sao Paulo Skyline
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Der Blick über die Dächer der Megalopole São Paulo

Wir haben angefangen, Emicidas Mixtape-CDs für zwei Reais auf der Straße, in der U-Bahn von der Hand zu verkaufen. Dafür habe ich meinen Job bei McDonalds gekündigt. So ging das los bei Laboratôrio Fantasma. Die Nachfrage war so groß, dass die Medien, also große Zeitungen und das Fernsehen, begonnen über uns zu berichten. So haben wir uns einen Namen als Label gemacht und gleichzeitig haben wir uns intern vergrößert. Überall wo Emicida hinkam, verwies er auf Laboratôrio Fantasma. Das Label nahm dann noch weitere Künstler auf und vermehrte seine Eigenproduktionen. Damit waren wir die ersten hier in Brasilien, die mit einem Rap-Label auch ein Unternehmen gegründet haben. Davor war das immer sehr chaotisch, die Leute wussten einfach nicht, an wen sie sich wenden sollten, wenn sie irgendwo auftreten wollten. Und ohne jemandem zu nahe treten zu wollen - das war alles noch sehr amateurhaft.


Wir mussten uns aufgrund der großen Nachfrage immer schneller und immer besser organisieren und das hatte wiederum einen großen Einfluss auf die Veranstaltungsszene hier. Wir sind quasi exponentiell gewachsen. Erst mit Mixtapes, dann mit dem ersten Album. Und nach unserem Auftritt beim Coachella-Festival in den USA hat alles eine ganz andere Dimension angenommen. Seit 2012 spielen wir auch in Europa. Wir haben also klein hier in den Ghettos von São Paulo angefangen, und haben es aus eigener Kraft und mit viel Fleiß und tagtäglicher Rennerei geschafft, dem brasilianischen HipHop unseren Rhythmus-Stempel aufzudrücken. Wir haben der Welt gezeigt, wie der Sound einer neuen Generation hier in Brasilien klingt, und vor allem hier in São Paulo, der Hochburg des Rap. Das ist unsere Mission. Eigentlich wollten wir der Welt immer schon unsere Geschichte erzählen. Und jetzt haben wir uns diesen Traum erfüllt. Vor allem durch Partner wie euch und Leuten wie Kall, oder auch ein paar Agenturen in den USA. Leuten, denen es ein Anliegen ist, zu zeigen was heutzutage in Brasilien entsteht. Brasilien ist nicht nur Bossa Nova. Zwar mögen und respektieren wir diese Musik, aber unsere Generation hat noch so viel andere tolle Musik zu bieten. Und diese soll auch außerhalb wahrgenommen werden. Und genau hier sind wir von Laboratôrio Fantasma die Pioniere, so sieht das aus.

Fioti von Laboratorio Fantasma Video Interview mit Fioti von Laboratorio Fantasma (01:57 Min.) Olympia 2016 in Brasilien

Interview mit Fioti von Laboratorio Fantasma

Wie ist die Beziehung zu deinem Bruder? Du bist Geschäftsmann, Manager und Bruder zugleich…


Graffiti Sao Paulo City
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Fioti: Zunächst respektieren wir uns und das ist schon mal eine gute Basis. Wie in jedem anderen Unternehmen, egal wo, gibt es Diskussionen oder auch mal Streit, da kann es auch mal um familiäre Angelegenheiten gehen, was nicht immer gut ist. Aber wir versuchen das wirklich zu trennen. Das kann aber auch von Vorteil sein. Man fühlt sich sicher, man vertraut einander, man kämpft für die gleiche Sache. Wir haben das selbe Blut. Viele denken, dass wir uns dauernd in die Haare bekommen, weil wir Brüder sind. So ist das aber nicht. Wenn wir streiten, dann nur zum Vorteil unserer Sache. Unser Alltag ist voller Enthusiasmus. Er weiß über alles, was in seiner Karriere passiert Bescheid. Ich spreche alles mit ihm durch. Ich sage zwar meine Meinung und sage, was getan werden muss, aber am Ende entscheidet er. Was die Geschäfte und Verträge angeht, da bin ich selbstständig. Aber im Alltag - also mit wem er zum Beispiel Kollaborationen macht - da kann ich zwar Vorschläge machen was die künstlerische Leitung angeht, aber das letzte Wort hat immer noch Emicida. Er kommt immer mit innovativen Marketing- und Designideen um die Ecke, und solche Initiativen sind sehr löblich für einen Künstler - und einfach diesen Drang immer neue Sachen zu präsentieren - so ist Emicida. Ich habe viel von ihm gelernt, außerdem ist er sehr großzügig und sozial. Er unterstützt und fördert neue junge Nachwuchsrapper, ob in den sozialen Netzwerken oder er lädt sie zum Rappen auf seine Konzerte oder für seine Alben ein. Das finde ich auch sehr lobenswert. Und ich trage hinter den Musikkulissen auf meine Art und Weise dazu bei: Kontakte machen, globales netzwerken usw. das ist mein Job - ich würde sagen, dass wir eine gute Beziehung haben.

Fioti von Laboratorio Fantasma Video Interview mit Fioti von Laboratorio Fantasma (02:04 Min.) Das Verhältnis zu Emicida

Interview mit Fioti von Laboratorio Fantasma

Nächstes Jahr sind die Olympischen Spiele in Brasilien, habt ihr eine Idee was ihr da machen werdet? Wie steht ihr als Künstler zu diesem Event?


Graffiti Sao Paulo City 2
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Fioti: Ich bin ein großer Sportfan und ich finde es interessant, dass die Olympischen Spiele nach Brasilien kommen. Aber gleichzeitig denke ich, dass sich unser Land momentan in einer schwierigen politischen und sozialen Situation befindet. Deswegen weiß ich nicht ob es der richtige Zeitpunkt für olympische Spiele ist. Viele Menschen, vor allem in Rio de Janeiro, werden unter den Baumaßnahmen und der Finanzpolitik der Stadt leiden. Und dennoch finde ich es als sportaffiner Mensch gut, dass so viele Menschen nach Brasilien schauen. Normalerweise sind wir um diese Zeit immer im Ausland, weil dort die Nachfrage größer ist. Wir werden eingeladen, weil wir Neuigkeiten aus Brasilien mitbringen. Leider sind die meisten Events um die Olympischen Spiele sehr Mainstream orientiert: Axé, Sertanejo und das ganze Massentaugliche. Nachdem unser Diskurs ein anderer ist, passt das nicht so sehr. Aber wir planen da was für die kommenden Olympischen Spiele und die danach in Japan. Leider kann ich darüber noch nicht reden. Aber bald werdet ihr es erfahren. Es gibt also nur ganz wenige Veranstaltungen während der Spiele für unsere Art von Musik. Da ist die Nachfrage im Ausland zu dieser Zeit viel größer. Einerseits schade, aber andererseits gut.

Fabiana Batistela, Direktorin der Musikmesse


Fabiana Batistela
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Fabiana Batistela

Brasilien hat momentan ein riesen politisches Problem. Ich bin zwar für die jetzige Regierung, doch sie hat richtig Ärger mit der Opposition und keiner weiß was daraus wird. Interessanterweise ist aber die wirtschaftliche Situation der brasilianischen Musikindustrie gar nicht so schlecht. 2015 ist für meine Firma Inker Agencia Cultural das beste Jahr seit ihrer Gründung vor 13 Jahren. Hier tauchen neue Möglichkeiten auf, der Markt ändert sich, die alten Regeln gelten nicht mehr, frische Ideen und Konzepte werden gebraucht. Jetzt können neue Künstler und junge Profis loslegen und deshalb bin ich für die Zukunft unserer Branche sehr optimistisch. Neue Künstler sind u.a. Tulipa Ruiz und Emicida, die sich durchgesetzt haben, im mittleren Marktsegment überleben, viele Fans haben. Und sie touren auch noch in Europa.


Stand: 09.12.2015, 16.51 Uhr