Süpertunes - Anderson Paak | Les 30 ans du Raï Geschichtsbuch des Raï & Ein Hippie, den alle mögen

Von Christian Werthschulte

"Les 30 ans du Raï" ist ein Geschichtsbuch der Musik, die von Algerien aus die Welt eroberte. Anderson Paak träumt auf "Malibu" den kalifornischen Traum.


V.A.: 30 ans du Rai
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V.A.: 30 ans du Rai

V.A.: Les 30 ans du Raï (Umsm)

Eine Compilation, die zugleich Lexikon und Geschichtsbuch ist – das ist "Les 30 ans du Raï". 100 Titel haben Bilal et Boutaiba Sghir hier versammelt, sie dokumentieren den Siegeszug der Musik aus Algerien von den 80er-Jahren bis heute – samt Booklet mit einem kurzen Essay von Rabah Mezouane. Dabei war nicht ausgemacht, dass diese Lo-Fi-Musik dereinst der erfolgreichste Pop-Export Algeriens werden würde. Musiker wie Cheikha Remitti, Khaled oder Rachid Tara haben ihre ersten Stücke mit minimalem Equipment aufgenommen. Ihre Musik hatte einen rohen, aber energiereichen Charme. Sie sangen über die Liebe, über ihren Alltag und die Probleme, die Miete zu zahlen. Raï war so subversiv, dass er sowohl der sozialistischen Regierung als auch den aufstrebenden Islamisten ein Dorn im Auge war. 1994 wurde der Raï-Sänger Cheb Hasni 1994 von Islamisten erschossen, viele Musiker emigierten daraufhin nach Frankreich.

Raï'n'B und andere Hybride

All dies konnte den Triumph von Raï nicht stoppen. Der Sound wird polierter, Autotune und digitale, präzise Beats halten Einzug. In Raï'n'B-Stücken wie "El Visa" von Cheb Djelloui findet man digital synkopierte R'n'B-Beats, die man auch von Timbaland kennt. Darüber liegen dann Flötensamples und mit mehreren Spuren aufgepimpter Gesang, der eine überzogene Leidenschaftsbekundung signifiziert. Auch HipHop, mit dem Raï in seiner Frühzeit immer verglichen wurde, hat Einzug in die algerische Musik gehalten. Der französische Rapper Rim’K, dessen Familie aus Algerien stammt, kombiniert HipHop-Grooves mit den Synthesizer-Läufen von Raï und hat immer wieder Raï-Sänger auf seinen Platten gefeaturet.

Adel verpflichtet

Aber ähnlich wie im HipHop, hat sich auch im Raï eine Adelsklasse herausgebildet. Khaled, der mit „Aicha“ einen der größten Raï-Hits produziert hat. gehört heute zum algerischen Establishment. Letztes Jahr unterstützte er gemeinsam mit vielen anderen Musikern sogar den korrupten Präsidenten Bouteflika. Und trotzdem gibt es immer wieder junge Künstler, die den Raï-Sound in die Gegenwart mitnehmen – ihnen ist auf "Les 30 ans du Raï" eine CD von DJ Hamida gewidmet, der 30 Jahre Raï-Musik in einem einstündigen Mix zusammenbringt.

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Anderson Paak: Malibu
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Anderson Paak: Malibu

Anderson Paak: Malibu (Steel Wool Entertainment)

Anderson Paak ist der Mann, auf den sich im Moment alle einigen können. Der 29-Jährige ist der Hoffnungsträger des Cali-Soul von der US-Westküste, der mit sich selbst noch ausmachen muss ob er lieber ein Rapper oder ein Crooner wäre. Denn die Musik von Anderson Paak ist nicht der tiefentspannte Westküsten-G-Funk, den Dr. Dre und Snoop Dogg in den 1990ern berühmt gemacht haben. Sondern Anderson Paak erhöht das Tempo und schraubt damit seinen Sound noch weiter in die Vergangenheit: zum Disco-Funk der 1970er und seinen psychedelischen Keyboards und Uptempo-Bassläufen. Für Anderson Paak ist dies auch eine Reise in die eigene Vergangenheit, zu seiner Kindheit in Oxnard, nördlich von LA, als seine koreanische Mutter diese Musik aufgelegt hat.

Underground mit Verbindungen nach ganz oben

Anderson Paak ist ein Shooting Star. Letztes Jahr wurde er mit "Compton", dem Comeback-Album von Paaks Teenager-Idol Dr. Dre, bekannt, auf dem er der Rapper mit den meisten Gastauftritten war. Vorher war Anderson Paak im HipHop-Underground von LA bekannt, hat da als Session-Musiker gearbeitet. Noch heute steht er mit einem Bein im Underground. Aber durch seine neue Berühmtheit hat er auch Beatschmiede und Musiker aus der Oberliga am Start: 9th Wonder, der schon mit Jay-Z gearbeitet hat, Beatmaker Madlib, oder auch den Jazz-Pianisten Robert Glasper. Und seinen Gesang hat er an Kendrick Lamar angelegt, heiser und dennoch ausdrucksstark.

California dreaming

Dennoch sind die Grenzen von Kalifornien die Grenzen seiner Welt. Der Vorgänger von "Malibu" hieß "Venice", beides Strände bei Los Angeles. Kalifornien ist da eine Lebenseinstellung. Aber Anderson Paak geht das klassische Rollenverständnis des Westcoast-Rap ab. Er ist kein Gangster wie Dre, er erzählt auch keine politisierten Geschichten aus dem Ghetto wie Lamar. Stattdessen verkörpert er eine, kalifornische Attitüde, die man eher aus den 70ern kennt. Auf "The Season" geht es darum, wie man als Person reift und man Erfolg haben kann, und trotzdem man selbst bleibt. Anderson Paak glaubt an das Erfolgsmodell des "authentischen, post-materiellen Hippie-Kapitalisten". Nicht umsonst hat er früher einmal auf auf einer Marijuana-Farm gearbeitet. Und diese Grundeinstellung verleiht "Malibu" eine unbeschwerte Verspieltheit: Mal produziert Anderson Paak ein Soulstück, mal wird‘s ein wenig jazziger, dann gibt es klassischen Boom-Bap-Rap. Warum auch festlegen? Vor der Tür ist doch nur der Ozean. Und der ist grenzenlos.

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Stand: 28.01.2016, 15.00 Uhr