Buchtipp - "Die schützende Hand": Der mysteriöse Tod der NSU-Terroristen
Wer erschoss die NSU-Terroristen? Sie selbst können es kaum gewesen sein. Das weist Wolfgang Schorlau in seinem hoch brisanten Politthriller "Die schützende Hand" nach.
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Wolfgang Schorlau
Wolfgang Schorlau, geboren 1951, lässt seinen Privatdetektiv Dengler, einen ehemaligen BKA-Zielfahnder, seit rund 10 Jahren ermitteln, und zwar fast ausschließlich in politischen Fällen, von der der RAF zugeschriebenen Ermordung von Detlef Rohwedder, Chef der Treuhand-Anstalt, bis hin zum Oktoberfestattentat reichen die Themen. Realität und Fiktion spielen in diesen Geschichten zusammen; mitunter, so scheint es, kann die Realität mit Hilfe der Fiktion "realistischer" dargestellt werden als politisch oder journalistisch – weil man in der Fiktion natürlich auch anders spekulieren kann als etwa mit den Mitteln des Journalismus.
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Wolfgang Schorlau: "Die schützende Hand"
In "Die schützende Hand", Denglers achtem Fall, kommt dieser Grenzgang zwischen Fiktion und Realität noch viel stärker zum Zuge als in den bisherigen Geschichten, und das Ergebnis ist bemerkenswert: All die Zweifel und Fragezeichen, die es an der (polizeilichen und politischen) Aufarbeitung der NSU-Mordserie gibt, werden hier zu einer Geschichte zusammen gefügt – einer Geschichte, die einen in den Abgrund blicken lässt. Die Frage, die sich stellt: Wie stark sind Teile der Behörden in die Mordserie verwickelte, über V-Leute oder gar persönlich?
Dengler erhält von einem anonymen Auftraggeber 15000 Euro und den Auftrag, herauszufinden, wer die NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos umgebracht hat. Der Detektiv lässt sich von ersten Fakten überzeugen, dass tatsächlich Zweifel an der Selbstmordthese angebracht sind und fängt an zu recherchieren.
Diese Ermittlungen, die Schorlau mit seinem Krimi auf Basis von Artikeln, Augenzeugenberichten und Auszügen aus Ermittlungsakten, also mit dem Stoff der Realität, vorantreibt, haben es in sich: Die Terroristen, das zeigen Indizien und Beweise, haben sich nicht selbst umgebracht; sie wurden schon tot im Wohnmobil, in dem sie gefunden wurden, platziert. Teile der Behörden haben die Ermittlungen ganz offensichtlich manipuliert und behindert.
Das ist Ebene 1. V-Leute und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes spielten undurchsichtige bis verdächtige Rollen; Zeugen starben und merkwürdigen Umständen, die darauf hindeuten, dass sie beseitigt wurden. Hinter all dem, so die These des Detektivs/des Autors, stecken korrupte, extrem rechts orientierte Teile des (thüringischen) Verfassungsschutzes; möglicherweise auch von Bundesbehörden.
Und weiter geht es – immer noch auf Basis von Fakten und Indizien – mit dem etwas spekulativeren Teil: Die rechte Szene, aus der die Terroristen stammten, ist massiv von V-Leuten unterwandert; es drängt sich der Verdacht auf, dass wesentliche Teile dieser Szene vom Verfassungsschutz initiiert und gesteuert wurden. Möglicherweise, bis dahin geht Dengler/Schorlau, wurde die NSU-Mordserie von den korrupten Teilen des Verfassungsschutzes in Auftrag gegeben mit dem Ziel, in der Bevölkerung eine negative Stimmung gegen "kriminelle Ausländer" zu generieren, um Gesetzgebungsprozesse entsprechend zu beeinflussen.
Darüber hinaus wurden, das deutet Schorlau an, mit Hilfe eines gezielten Einsatzes von V-Leuten in den 90er Jahren die rechtsradikalen Proteste von Rostock etc. angefacht und befeuert, um eine Änderung der Asylgesetzgebung zu forcieren. Auch jetzt, bei den aktuellen Ausschreitungen angesichts der Flüchtlingskrise, etwa in Haidenau, ist der Geheimdienst mit im Boot, das lässt der Autor mit dem Schlussbild seines Romans anklingen.
Spätestens hier wird es natürlich SEHR spekulativ, und es riecht nach Verschwörungstheorie. Allerdings operiert Wolfgang Schorlau strikt auf Basis von Fakten, die er auch in Fußnoten belegt. All das, was dieser Roman zusammen montiert, kennt man übrigens in den einzelnen Teile schon, aus Artikeln und von Blogs. Im Roman werden die einzelnen Teilen zu einem möglichen Ganzen zusammengefügt, das ist der Luxus der Fiktion, die mit Elementen der Realität arbeitet. Tatsache ist: Die Zusammenhänge sind auf jeden Fall denkbar so, wie sie sich dem Detektiv darstellen. Und das ist schon beunruhigend genug
Angaben zum Buch
Wolfgang Schorlau: "Die schützende Hand. Denglers achter Fall"
KiWi-Paperback, 2015. 384 Seiten. Euro 14,99. ISBN 978-3462046663
Stand: 11.11.2015, 10.00 Uhr
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