Der Soundtrack von... - Anouar Brahem Oud & Tunesische Umbrüche

Er ist ein Virtuose an der arabischen Laute, bewegt sich schon seit vielen Jahren zwischen Orient und Okzident. Im "Soundtrack von… - Anouar Brahem" erzählt uns der Tunesier von seinen musikalischen Anfängen, von einem außerordentlichen Konzert in Deutschland und von seinem aktuellem Meisterwerk "Souvenance".


Anouar Brahem - Teaser
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Anouar Brahem zählt zu den bedeutendsten Musikern aus Tunesien. Ein Oud-Meister, der klassische arabische Melodien mit Folklore- und Jazzelementen wie kein Zweiter verarbeitet. Das 57-jährige musikalische Allroundtalent begeisterte sich schon als Kind für klassische Musik des 20. Jahrhunderts. Später begab er sich auf eine akustische Reise: Er entdeckte Flamenco, Jazz und indische Musik und entschloss sich kurzer Hand in den 80er Jahren nach Paris zu ziehen, um den musikalischen interkulturellen Austausch zu leben und die Musik zu seinem Beruf zu machen.

Frisch erschienen ist sein Album "Souvenance". Er verarbeitet dort die aufwühlenden Gefühle während und nach der Jasmin-Revolution in seinem Heimatland Tunesien - ein Andenken an die Geschehnisse, die die arabische Welt erschüttert haben. Schon im Juli konnten 7500 begeisterte Fans die Live-Premiere von "Souvenance" in Karthago miterleben. Neben der nicht wegzudenkenden Oud stehen ihm drei virtuose Musiker an Bassklarinette, Piano und Bass zur Seite, erstmalig gepaart mit einem Streich-Orchester. Ein vielschichtiges Album: Reflektiert und zugänglich, aufwühlend und elegant.

Wer bist du?

Ich bin ein tunesischer Musiker, der ein sehr altes Instrument namens Oud spielt, und ich bin auch Komponist.

Was ist die Oud?

Die Oud ist ein Instrument, das mich magisch angezogen hat als ich jung war. Sie ist für die Geschichte der arabischen Musik sehr wichtig.

Wie wurde die Oud verwendet?


Oud
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Am Anfang war die Oud das wichtigste Instrument im kleinen arabischen Musik-Ensemble, das früher nur aus 4-5 Instrumentalisten bestand, da war es das zentrale Instrument. Dann hat sich das arabische Orchester in den 40er und 50er Jahren etwas übertrieben erweitert, nach dem Vorbild der westlichen Orchester und um diese zu imitieren. Das arabische Orchetser ist also sehr stark um die Geigen und Celli vergrößert worden. Dann kamen noch die elektrischen Instrumente dazu und das Instrument hat an Bedeutung verloren, weil es dann aus diesen Ensembles immer mehr verschwunden ist. Oder es blieb vorhanden, aber man hörte es nicht mehr so wie zuvor heraus, es wurde eher zum Décor. Zu dieser Zeit begann ich Musik zu spielen und ich sah das Instrument, es war im Zentrum der Orchester der 1970er Jahre, hatte noch seinen Platz, aber es hatte seine ganze Pracht verloren, weil es unterging.

Wie kamst du dazu die Oud zu spielen?

Was mich und andere Musiker wie Mounir Bachir bewegt hat, war die Frage: Wie kann die Oud überleben? Als ich jung war hatte ich deswegen die bizarre Idee Solo-Konzerte mit der Oud zu spielen.

Wie hat das Radio deinen musikalischen Werdegang beeinflusst?

Als ich jung war, war das Radio das Mittel um Musik zu entdecken - so wie heute Youtube. Dieser kleine Kasten hat es mir ermöglicht Musik und Instrumente zu entdecken, und die verschiedenen arabischen Stile. Mit dem Radio konnte ich verreisen, wenn ich Musik vom Balkan oder aus Indien hörte.

Was für Musik hast du in deiner Jugend gehört?

Ich war auf einem Gymnasium in Frankreich, wo eine sehr aufgeschlossene Stimmung herrschte. Das war in den 60ern und 70ern, zu der Zeit interessierten sich viele für das französische Variété und für Instrumente wie die Gitarre. Doch mein Geschmack war sehr ausgefallen. Ich hatte Interesse an alter Musik. Schon mit 10 Jahren mochte ich Musik, die nicht einmal meine Großmutter gehört hat. Ich war begeistert von der Musik von Anfang des 20. Jahrhunderts, dann kam die Klassik.

Und wie ging es mit deinen musikalischen Erlebnissen weiter?

Ich war für ganz viel Musik empfänglich, und habe mich auf eine akustische Reise begeben. Zuerst habe ich angefangen Musik wie den Flamenco zu entdecken, dann den Jazz, dann Musik aus Indien. Das sind Musik-Richtungen, die mich als jungen Musiker ungemein berührt und interessiert haben. Und dann bekam ich große Lust diese Musiker aus verschiedenen Richtungen zu treffen: Die Inder, Iraner und Jazz-Musiker. Deswegen bin ich nach Paris gegangen.

Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Jan Gabarek?


Jan Gabarek
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Jan Gabarek

Jan Gabarek hat mein Album "Barzakh" sehr gemocht. Wir haben uns in Frankfurt am Abend vor unserem Konzert zusammen mit Manu Katché getroffen. Wir hatten noch nie zusammen geprobt und nur improvisiert. Dabei dachten wir uns: "Mal sehen, was passiert". Das Erstaunliche daran war, dass wir sofort harmoniert haben, so als ob wir schon seit 30 Jahren zusammen gespielt hätten. Die Chemie hat einfach gestimmt. Wir haben dann aufgehört zu proben und uns gesagt: "Lass uns diese Energie für das Konzert bewahren".

Wie hat sich die tunesische Revolution auf deine Arbeit ausgewirkt?

In diesen Januartagen des Jahres 2011, um den berühmten 14. Januar herum, hatte ich gerade angefangen an etwas Neuem zu arbeiten. Und dann gab es diese außerordentlichen Ereignisse. Auf einmal war das Regime gefallen, die Diktatur beendet - Ben Ali ist aus dem Land geflüchtet und wir sind in einer aufständischen Situation wach geworden. Während dieser Zeit, über mehrere Monate hinweg, habe ich überhaupt nicht arbeiten können. Das, was da jeden Tag auf der Straße passierte, war so bedeutend, man war mit historischen Ereignissen konfrontiert.

Wo fand die Premiere von deinem Stück "Souvenance" statt?

Ich hatte das große Bedürfnis, "Souvenance" zum ersten Mal in Tunis zu präsentieren. Denn es sind Musik-Stücke, die ich in den letzten drei Jahren komponiert hatte, in dieser Zeit, die für Tunesien und mich selbst sehr wichtig war. Es machte für mich großen Sinn, die Musik in Tunis und auch in ihrer Orchester-Version aufzuführen.

Wie gestalteten sich die Anfänge in "Souvenance" für Quartett?


Anouar Brahem -  Souvenance
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Anouar Brahem - Souvenance

Die ersten Sachen, die in dieser Musik aufgetaucht sind hatten noch nichts mit diesem Quartett zu tun. Das erste waren der Flügel und die Streicher-Instrumente. Am Anfang, in den ersten Entwürfen, ersten Ideen und Skizzen sah ich noch gar keinen Platz für die Klarinette und den Bass. Und erst beim Weiterarbeiten, nach und nach beim Komponieren hat sich dieser Platz ergeben, sogar für die Oud erst später. Das ist komisch, wenn jetzt der Bass zum Beispiel eine so wichtige Rolle in dieser Musik hat.

Autor: Claus Josten


Stand: 27.02.2015, 11.48 Uhr