Der Soundtrack von... - Roots Manuva : Möge der Bass mit euch sein
Roots Manuva ist der bekannteste britische Rapper und er verkörpert die Evolution des UK HipHop. Seine Einflüsse reichen von Jamaika bis Jungle. Auf seinem neuen Album "Bleeds" geht er neue Wege.
Rodney Hylton Smith aka Roots Manuva ist seit über 15 Jahren fester Bestandteil der UK-HipHop-Szene. Der 43-Jährige Musiker wuchs im Südwesten Londons auf. Seine Eltern stammen aus Jamaika, wo sein Vater Prediger war. Im Gespräch mit Funkhaus Europa erinnert er sich an Gospelgesänge in der Kirche und Pop-Momente im britischen Fernsehen der Achtzigerjahre.
1997 wurde Roots Manuva von Big Dada, dem HipHop-Ablegers des Elektronik-Labels Ninja Tunes, unter Vertrag genommen. Von da an ging es ganz schnell: sein Debütalbum "Brand New Second Hand" erschien 1999. Das aktuelle "Bleeds" ist sein neuntes Studioalbum.
Roots Manuva verkörpert die Geschichte des britischen HipHop: von seinen Ursprüngen in Jamaika über Jungles Raves bis zu Grime. Welche Tunes für ihn dabei wichtig waren, erzählt er uns in seinem Soundtrack.
Wer bist du uns was bedeutet gute Musik für dich?
Ich bin Roots Manuva und gute Musik muss für mich ehrlich sein.
Was ist deine erste Erinnerung an Musik?
Ich kann mich daran erinnern, wie ich als Kind Johnny Cash gehört habe, ich glaube das Album hieß "Ring of Fire". Meine Mutter und mein Vater sind große Fans von Johnny Cash. Ich dachte: 'Wow, das ist eine interessante Stimme!', sie klang samtweich und rauh zugleich. Ich verstand nicht, was er sang, aber es klang cool. Ich saß einfach da und habe das Album gehört. Es gab nicht viel anderes zum Hören damals, es waren Sommerferien und ich hab mich gelangweilt. Das war eins von den Alben, die mich damals angesprochen haben.
In deiner Familie war die Kirche und Gospel sehr präsent, wie hat dich das beeinflusst?
In der Kirche meiner Eltern haben sie immer "Amen" gesungen, nichts anderes. Amen, Amen, Amen. Sie konnten das 45 Minuten lang singen, es war eine riesige Jamsession. Die Art, wie sie das gesungen haben, in verschiedenen Harmonien, wie sie dazu geklatscht haben, manchmal mit Musikern - das war einfach unglaublich. Amen bedeutet "So sei es". Ich freestyle sehr gern mit anderen, das kommt wahrscheinlich daher.
Welches war das erste Album, das du in deinem Leben gekauft hast?
Ich glaube, die erste Platte, die ich mir wirklich gekauft habe, war LL Cool J: "I'm Bad". Der Song lief auf einer kleinen Party bei mir in der Gegend und ich war einfach fasziniert von der Art, wie er performte auf dem Stück. Also bin ich runter zur Oxford Street zu HMV gegangen und hab die Single gekauft.
Was hat dich dazu motiviert, vom Musikkonsumenten zum Produzenten zu werden?
"The Art Of Noise" habe ich als Kind im Fernsehen gesehen, und das hat mich sehr inspiriert. Die hatten Sampler und Synthesizer. Und als ich gesehen habe, wie einfach das war, mit diesen Geräten zu arbeiten, da hat es bei mir Klick gemacht. Ich war schon immer an Technik interessiert. Und "The Art of Noise" haben mich dazu gebracht, es selbst zu probieren.
Was war das beste Konzert deines Lebens?
Ich war über die Jahre bei vielen tollen Konzerten, aber zuletzt war ich wirklich beeindruckt von Nile Rogers & Chic. Ich habe ihn vor ein paar Jahren auf einem Festival in Großbritannien gesehen. Einfach die Art, wie er eine unangenehme Situation gemeistert hat, war beeindruckend: Er musste vor dem Publikum soundchecken und hat das zu einem Teil seiner Show gemacht. Und dann, als das Konzert losging, war es einfach nur unglaublich von Anfang bis Ende. Erstens hat er so viele Hits. Zweitens weiß man meist nicht, dass es seine Hits sind, bis man sie im Kontext hört. Er hatte mindestens 30 Leute auf der Bühne und wenn du das siehst, ist es einfach absolut faszinierend, man sieht die Wurzeln von so Vielem darin. Ich habe nie gesehen, wie jemand ein so gemischtes Publikum so begeistert hat, die sind alle ausgeflippt. Wenn man das live hört, bringt es einen irgendwie in den Sound hinein, den man so viele Jahre lang einfach für selbstverständlich angenommen hat.
Welcher Song bringt dich zum Weinen?
Es gibt einen Song von Kelis: "Get along with you", der hat mich wirklich bewegt. Kelis ist eine meiner Lieblingssängerinnen, auch als Texterin finde ich sie großartig. Und manchmal fühlt es sich so an, als würde sie direkt zu mir sprechen, so dass ich schon sagen will: 'Verdammt, Kelis, verschwinde aus meinem Kopf!'. Kelis ist wahrscheinlich eine der sehr wenigen modernen Künstlerinnen, die mir eine Träne entlocken könnte.
Welches aktuelle HipHop-Release hat dich beeindruckt?
Das Album von Kendrick Lamar ist so mutig und so beeindruckend, es ist ein Beweis dafür, dass Musik mit Inhalt genauso erfolgreich sein kann wie stumpfer Pop. Talent, pures Talent kann alles erreichen. All die Aussagen, die er macht, all seine Referenzen an die afroamerikanischen Wurzeln der Musik, des alltäglichen Kampfes. Kendrick hat das in einer Weise gemacht, die jeden anspricht. Er überschreitet die Hautfarbe, denn es ist derselbe alte Kampf für alle.
Welches Album hat dein Leben verändert?
Es gibt nicht wirklich das eine Album, das mein Leben verändert hat - aber Big Dada und Ninja Tune haben als Label auf jeden Fall mein Leben verändert. Wie ich Musik höre. Sie haben mich unter Vertrag genommen, und ich war innerhalb von wenigen Monaten auf der ganzen Welt unterwegs. Und das hat meinen Horizont erweitert, rumzureisen und mich auszudrücken. Wenn ich eine Platte nennen müsste, dann wäre das "Funkungfusion", eine Art Sampler von Ninja Tune, auf dem ich 1998 das erste Mal im Labelkontext aufgetaucht bin. Dieses Album zu hören, die verschiedenen Herangehensweisen an HipHop und elektronische Musik, das hat wirklich mein Leben und meine Hörgewohnheiten verändert.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Wrongtom und dem anschließenden gemeinsamen Album?
Wrongtom hat eine Reggae-Version von meinem Album "Slime & Reason" gemacht, die hieß "Slime & Version". Seine Remixe waren einfach sehr gut auf die Texte abgestimmt, also haben wir ihm einfach alles gegeben und gesagt: 'Mach dein Ding draus!'. Das hat dann als Album wirklich gut funktioniert, wir haben das sogar ein paar Mal live gespielt. Das lief alles aus Spaß, ich wollte einfach ein bisschen Respekt dafür zeigen, was mich die letzten Jahre selbst inspiriert hatte.
Wie hat sich der Erfolg von deinem Song "Witness" damals angefühlt, wie bist du damit umgegangen?
Ich bin bis heute davon überrascht, wie erfoglreich "Witness" war. Weil es eigentlich eine sehr egoistische Angelegenheit war. Ich wollte einfach Lärm machen und über etwas rappen, dass originell und basslastig war. Es ist ein wütender Sound und eine verrückte Schimpftirade. Als ich das produzierte, wollte ich unbedingt, dass es auf allen Arten von Anlagen gut klingt. Deshalb habe ich den Bass so aufgedreht, dass ich damit nicht daneben liegen konnte. Deshalb ist der auch so abgemischt - krachig und gemein. Das ist eigentlich Blasmusik, meine Interpretation von Punk und Jazz. Ich hatte damals keine Ahnung, dass ich heute hier sitze und über den Song rede - 16 Jahre, nachdem ich ihn das erste Mal als Dubplate gespielt habe. Und es hat wunderbar funktioniert! Ich bin immer noch hier, ich singe immer noch diesen verdammten Tune!
Was ist deiner Meinung nach der beste Reggaesong?
Es gibt nicht das eine beste Reggaestück, es gibt einige gute Beispiele für die Macht von Reggae. "Exodus" von Bob Marley drückt sehr gut aus, worum es im Reggae geht: Es muss ehrlich gemacht sein und von Herzen kommen. Dann spricht es jeden an. Wir haben alle eine Migrationsgeschichte und wir sind alle Teil von Jah. Ob man jetzt religiös ist oder nicht, aber für mich existiert Jah wirklich.
Was für einen Einfluss hat karibische Musik allgemein auf dich?
Ich bin an Musik aus der ganzen Welt interessiert, aber Musik aus Jamaika spricht zu mir in einer Weise, die über das reine Hören hinausgeht. Es ist ein Weg für mich zu verstehen, wo meine Eltern herkommen, in was für einer Umgebung sie aufgewachsen sind und was sie hätten sein können oder auch nicht, wenn sie in Jamaika geblieben wären. Das ist kein passives Musikhören, ich tauche in die Sprache meiner Eltern ein. Es ist fast wie eine kulturelle Studie, es ist gut für mich, die Klänge, den Slang und die Sehnsucht zu hören. In jamaikanischer Musik ist viel Freiheit und auch viel Kitsch. Ich bin auf jeden Fall so an Musik aus Jamaika interessiert, wie auch an Dubstep oder Two Step.
Was ist dein Lieblingssong aus der britischen Bassszene?
Zu meinen Lieblingstunes aus der britischen Bassmusik zählen Songs wie "Charly", was eher Ravemusik ist. Und Rusko. Er hat ein Stück aus dem Film „Lock, Stock and Two Smoking Barrels" gesampled "Fuck, fuck, fuck". Dieser Song spricht mich auf so vielen Ebenen an. Da sind die heftigen Reggae-Bläser und dieser massive Bass. Ich behaupte nicht von mir, ein DJ zu sein, will keinem DJ sein Geld wegnehmen oder ihm auf die Füße treten - aber immer, wenn ich als DJ spiele, leg ich diesen Song auf. Ich wünschte, ich hätte diesen Tune gemacht. So einfach und dabei so kraftvoll.
Du bist als Jugendlicher vor allem in der britischen Klubszene groß geworden, kommst aber aus einer jamaikanischen Familie. Wie ist deine Beziehung zu UK-Reggae?
Bands aus Großbritannien wie The Aswads, UB40, The Specials, später Fun Boy Three und Big Audio Dynamite - all diese Bands waren beeinflusst durch den Reggae der Siebziger. Und die britische Umsetzung von Reggae, die in Form von Jungle und Dubstep oder Drum'n'Bass auftaucht, hat definitiv einen großen Einfluss auf das, was ich tue.
Erzähl uns was zu deinem neuen Album...
Es war nicht einfach mit dem neuen Album, ich kannte ungefähr die Richtung, und es ist seltsam: Es fühlt sich an, als ob ich das erste Mal ein Erwachsenenalbum gemacht habe. Ich war früher so was wie der Liebling vom Label, ich konnte immer machen, was ich wollte und musste mich mit niemandem absprechen. Aber jetzt muss ich mich vor vielen Leuten rechtfertigen, das A&R Team und das neue Management, die fordern mich.
Siehst du dich als Musiker in einer politschen Verantwortung?
Ja, klar, es gibt eine gewisse Verantwortung dafür, mich einzusetzen und glaubwürdige Wege dafür zu finden, gegen die Politikverdrossenheit anzugehen. Ich arbeite mit Jugendprojekten in Großbritannien und versuche mit den Jugendlichen zusammenmzuarbeiten. Viele fühlen sich nicht als Teil von Politik. Aber die Nike Schuhe, die sie haben wollen, und sogar das Getränk, das sie trinken, ist eine politische Entscheidung, auch wenn dir das nicht bewusst ist.
Wie sieht die Zukunft der Musik aus?
Ich denke, die Zukunft der Musik ist, dass mehr und mehr Sounds von den Rändern auftauchen und zur beliebtesten Musik werden. Unkonventionelle Stücke, zum Beispiel Symphonien, mehr unkonventionelle Songs, nicht einfach nur ein Refrain und so. Verrückte Sachen werden zu Pop. Die Leute sind es Leid, sie hören kein Radio mehr! Sie hören, was immer sie wollen. Die Menschen wollen neue Welten und neue Formen der Kunst entdecken.
Stand: 02.12.2015, 18.05 Uhr
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